: Die Robbe von nebenan
Die Düne in Helgoland ist ein Paradies für Seehunde und Robben. So possierlich, wie sie aussehen, sind die Tiere jedoch nicht. Ein Strandspaziergang mit dem amtlich bestellten Seehundjäger der Insel
VON ROGER REPPLINGER
Da liegt ein Seehund. Hat die Farbe des Sands, auf dem er döst. Er guckt rüber. „Können wir?“, frag ich. Rolf Blädel nickt. Wir gehen näher ran. Es kommt der Moment, da weiß man, es ist nahe genug. Ein Tourist fotografiert den Seehund. Der mag das. Legt sich in Pose: Flosse auf dem Bauch, linst in die Kamera. Währenddessen steht im flachen Wasser ein Kegelrobben-Weibchen und hält Mittagsschlaf. Der Kopf schaut aus dem Wasser, die Augen sind halb geschlossen. Der Speckkragen hält ihren Kopf über Wasser, da sie viel Sauerstoff speichern kann, atmet sie langsam, die Herzfrequenz sinkt. So verbraucht sie wenig Energie.
Robben können auch unter Wasser schlafen. Ein Schutzmechanismus setzt ein, wenn zu wenig Sauerstoff im Blut ist. Dann taucht die Robbe auf, atmet, und taucht wieder ab. Alles im Schlaf. „Ho, ho, ho“, ruft Blädel, und schon schauen ein paar Seehunde und Robben zu uns herüber. „Flach aufs Wasser schlagen geht auch, dann kommen sie angeschwommen und wollen wissen, was los ist“, sagt Blädel. „So verständigen sich die Tiere untereinander: Flosse aufs Wasser patschen.“
In der Silvesternacht des Jahres 1720 tobte ein Sturm in der Deutschen Bucht, in der Deät Lun liegt, wie die Insel Helgoland auf Helgoländer friesisch heißt. Ein so gewaltiger Sturm, dass er einen Teil der Insel überspülte und die „Düne“ vom Rest Helgolands trennte. So entstand die Helgoland ein Kilometer vor gelagerte „Perle aus Sand“, wie sie Blädel nennt. Die Hauptinsel ist ein Quadratkilometer groß, die Düne 0,7 Quadratkilometer, beide sind Naturschutzgebiet. Auf der Düne liegen der Flugplatz, ein Campingplatz sowie ein altes und ein neues Bungalowdorf. Und Robben und Seehunde.
Da sind wir hingefahren. Mit der Fähre und Rolf Blädel, 56 Jahre alt, früher bei der Wasserschutzpolizei, jetzt „amtlich bestellter Seehundjäger“, wie das in Schleswig-Holstein heißt. Er darf kranke Tiere „aus dem Bestand“ nehmen, denn er hat einen Bundesjagdschein. Krank werden vor allem junge Seehunde, die nicht genug Speck auf den Rippen, nicht genug Abwehrkräfte haben. Sie schweißen aus dem Fang, bluten aus dem Maul, leiden unter Lungenwürmern, einem aggressiven Parasiten. An Krankheiten gestorbene Tiere werden im Forschungs- und Technologiezentrum Büsum obduziert.
An die Seehundstaupe von 1989 und 2002 erinnert sich Blädel als ein „Elend.“ Im August 2002 fand er fünf tote Tiere am ersten Tag, acht am zweiten, insgesamt starben fast 400 Tiere auf der Düne. Fast alle kannte er. Momentan leben etwa 8.500 Seehunde in der Deutschen Bucht, dazu rund 3.000 Kegelrobben.
Wer vor der Düne schnorchelt muss damit rechnen, dass Seehunde am Schnorchel zupfen. Wer hier badet, wird zum Spielen aufgefordert. Seehunde schwimmen Gästen durch die Beine, stupsen sie an und wollen ihren Spaß. „Ich hab einen Gast, den der Seehund nicht mehr in Ruhe ließ, in eine andere Bucht geschickt. Aber wissen Sie was: Der Seehund ist mitgewandert.“ Wahrscheinlich stammte dieser Seehund von der Aufzuchtstation Friedrichskoog und war deshalb so anhänglich.
Von den Menschen lassen sich die Seehunde nicht stören, vom Flugplatz auch nicht. Manchmal liegt ein „lütter Seehund“ auf der Landebahn, wenn die Sonne dorthin scheint. „Müsst ihr eben die andere Landebahn benutzen“, riet Blädel einem Piloten, der um Rat fragte. Liegt eine Robbe auf dem Dünenweg, „dann müssen die Leute einen Bogen machen“, sagt Blädel.
Während wir am Strand entlang gehen, schwimmt eine Kegelrobbe mit und beobachtet uns. Seehunden und Robben geht es hier gut, weil sie genügend Fisch finden. Das ist nicht in allen Revieren so. Blädel hat schon mit eigenen Augen gesehen, wie sich Kegelrobben Enten und Möwen schnappen.
Sorgen machen dem Robbenschützer die dänischen Gammelkutter, die nicht gammelig sind, sondern hochmodern. Die fischen um Helgoland die bei den Robben beliebten Sandaale, die zu Futtermittel-Pellets gepresst werden. „Die Dänen sind liebe, nette Menschen, aber meine Robben hab’ ich auch gern“, sagt Blädel.
Damit nicht der Eindruck entsteht, es handele sich um Kuscheltiere, erzählt er, was Robbenbullen machen, wenn sie sich um Weibchen raufen: „Da hauen sich die 200 Kilo schweren Tiere die Fangzähne gegenseitig in den Nacken, bis einer aufgibt.“ Kegelrobben sind die größten Raubtiere Deutschlands.
Bädel bückt sich ständig und drückt uns, was er findet, in die Hand. „Hier“, sagt er und zeigt einen „Helgoländer Diamant“. Ein Feuerstein in den Farben schwarz, weiß, rot. Viele Millionen Jahre alt. Wenn man diese Steine zwanzig Tage und Nächte poliert, dann wird Schmuck draus. Schön sind sie auch so. Nach einer Sturmflut braucht Blädel fünf, sechs Stunden für ein paar hundert Meter Strand. So viel ist da zu finden. „Komm ich von der Düne, bin ich steinreich“, sagt er.
Im Südosten der Düne ist die Aade, sie sieht jeden Tag anders aus. Wenn Seehunde geboren werden, liegen sie hier. „Ho, ho, ho“, ruft Blädel, und schon drehen sich ein paar kugelrunde Köpfe im Wasser zu uns. In diesem Fall hieß das „Tschüss“.
Rolf Blädel macht, auf Anfrage, Führungen auf der Düne, gerne auch für Kinder, die vom Verein Jordsand organisiert werden. Anmeldung jeden Tag außer Montag von 10 bis 16 Uhr unter 04725 – 7787, Informationen unter www.jordsand.de, Mail: info@jordsand.de