■ Die Ritter der Pickelhaube: Fassadenstürmer
Kein Ort, wo der Hauch der Geschichte weht, ist gegenwärtig vor der Gesellschaft Historisches Berlin sicher. Gestern galt der ganze Einsatz der durch heftige Lobbyarbeit inzwischen einflußreich gewordenen Gesellschaft erneut der historischen Kuppel des Reichstags. Diese sei aufzurichten anstelle einer lichtdurchfluteten High- Tech-Kuppel. Das Verdienst der Gesellschaft, der nicht nur FDP- Politiker in Zahl, sondern auch der Historiker Michael Cullen und die ehemalige Abgeordnete der Grünen, Anette Ahme, angehören, ist es sicher, die Frage nach der Bedeutung historischer Bauten in der Stadtmitte gestellt zu haben. Sie bezweifeln den unbedingten Primat der Moderne bei der Neubebauung solcher Orte wie dem Pariser Platz und haben damit Nachdenken erzeugt. In ihrem Drang nach dem Original kritisieren sie auch zu Recht historisierende und geschmäcklerische Projekte wie den auf alt getrimmten Neubau des Adlon-Hotels am Brandenburger Tor.
Damit aber endet der Impuls, der von der Gruppe ausgeht. Im Plädoyer für den Wiederaufbau des Stadtschlosses oder in der angemahnten Rekonstruktion preußischer Bauten bleibt jede Frage nach der Funktion solcher Gebäude für das moderne Berlin auf der Strecke. Dabei hat das Boddinsche Gummischloß vor zwei Jahren lediglich bewiesen, wie wichtig am Schloßplatz gute Architektur ist, nicht aber, daß wir ein Schloß brauchen. Das Beharren auf der Fassade wird zu einem reaktionären Gestus, weil es die Stadt zur bloßen Kulisse degradiert. Nicht von ungefähr trifft sich deshalb die Gesellschaft Historisches Berlin beim Kampf für die wilhelminische Pickelhaube des Reichstags mit den Wünschen der konservativsten CDU-Abgeordneten der Stahlhelm-Fraktion. Gerd Nowakowski
Siehe Meldung auf Seite 26
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