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■ Die Regierung Juppé tritt zurück und gleich wieder anDie zweite und letzte Chance

Noch nie hatte Frankreich eine Regierung, die so rasch und so tief in den Meinungsumfragen abgestürzt ist. Da hat Staatspräsident Jacques Chirac die Notbremse gezogen. Premierminister Alain Juppé selbst reichte gestern zwar den Rücktritt seiner Regierung ein, klar ist jedoch, daß Chirac dahintersteckt. Er hat Juppé zur Ordnung gerufen – und ihm gleichzeitig eine zweite Chance eingeräumt; der bisherige Premier darf auch die neue Regierung bilden. Das aber ist mit Sicherheit seine letzte Chance.

Die Regierung Juppé, noch nicht einmal vier Monate im Amt, litt nicht nur unter einem Vertrauensschwund in der Bevölkerung, sondern stieß selbst innerhalb ihrer parlamentarischen Mehrheit zunehmend auf Kritik. In dem relativ jungen Ministerkabinett, in das Juppé unverbrauchte Leute aus dem Kreis der engsten Getreuen von Jacques Chirac berufen hatte, waren schnell Meinungsverschiedenheiten und Kompetenzmängel sichtbar geworden. Die noch laufende Budgetdebatte im Parlament hat außerdem gezeigt, daß die heterogene bürgerliche Koalition nur bedingt hinter dieser Regierung stand.

Greift Juppé jetzt auf erfahrenere Politiker zurück, etwa auf die „Veteranen“ der Regierung von Ex-Premier Balladur wie Charles Pasqua oder Simone Veil? Der Hardliner Pasqua, ehemaliger Innenminister, dementierte dies umgehend. Wahrscheinlicher ist, daß Juppé im Auftrag Chiracs sein Kabinett lediglich konzentriert, um so die Mißklänge in der Regierung zu beseitigen und gleichzeitig seine eigene Autorität zu stärken.

Die politische Wende hin zur Austeritätspolitik, die Präsident Chirac vor wenigen Tagen der Nation als zweijährige Diät verordnet hat, bedeutet zudem eine grundlegende Änderung der Prioritätenliste für Juppé. Die Schwerpunkte sind nicht mehr dieselben wie im Regierungsprogramm, dessen Schwerpunkte aufgrund der widersprüchlichen und unerfüllbaren Wahlversprechen nicht mehr zu erkennen waren. Reicht es da, der unzufriedenen Bevölkerung wie einst General de Gaulle zuzurufen „Ich habe euch verstanden“? Mit einigen entlassenen und ausgetauschten Ministern wird sich die enttäuschte Wählerschaft nicht zufriedengeben. Rudolf Balmer, Paris

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