■ Die RAF kommentiert lautstark das vergangene Jahr: Ein wohlkalkuliertes Signal
Mit dem großen Bums von Weiterstadt hat sich die RAF auf ausgesprochen intelligente Weise aus dem Untergrund zurückgemeldet. Dies gleich unter mehreren Aspekten. Erstmals seit vielen Jahren bedarf es keiner langatmigen Erklärungen, um einen Anschlag in linksradikalen Zirkeln – und man darf annehmen: deutlich darüber hinaus – verständlich zu machen. Der neue Superknast stand, allem Gesäusel vom „humanen Strafvollzug“ zum Trotz, von Anfang an unter dem Verdacht, die Erfahrungen der Hochsicherheitstrakte differenziert auf unterschiedliche Häftlings- Kategorien anwenden zu sollen. Die Aktion ist aber nicht nur geeignet, die über die Waffenstillstandserklärungen der RAF zerstrittene Szene erneut zusammenzuschweißen. Auch die Gefangenen aus der RAF, die seit Wochen öffentlich eine tiefgreifende Kontroverse über die Zukunft ihrer Sache austragen, können sich in diesem Anschlag gemeinsam wiederfinden. Diejenigen unter ihnen, die schon lange vor den RAF-Erklärungen von 1992 die Fortsetzung ihres Kampfes mit dem Mittel blutiger Mordaktionen für einen schrecklichen Fehler hielten, mögen den schmerzhaften Sachschaden als Bestätigung ihrer Einsicht durch die Untergrundgruppe nehmen. Die Bomben von Weiterstadt unterstreichen die ungebrochene Handlungsfähigkeit der Gruppe.
Wichtiger als all dies ist das wohlkalkulierte Signal an Politik und Staatsschutzbehörden. Die RAF kommentiert auf ihre Art das verlorene vergangene Jahr. Sie reagiert auf das faktische Ende der sogenannten Kinkel-Initiative und die politische Null-Reaktion des Staates auf die fundamentale Kehrtwende der Guerilla. Sie tut das, ohne ihre neue, am 10. April 1992 ausgegebene Geschäftsgrundlage zu verletzen. „Wir werden Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat für den jetzt notwendigen Prozeß einstellen“, lautete damals die Schlüsselaussage der Gruppe. In Weiterstadt ist nicht zufällig kein Blut geflossen. Die RAF ist heute so berechenbar wie wohl nie in ihrer Geschichte.
Sobald die nun einsetzende rituelle Empörung über den hohen Sachschaden und die Unverbesserlichkeit der linken Guerilla abgeklungen ist, sollten sich diejenigen in der Politik zusammensetzen, die „eigentlich“ längst wissen, daß dieser aus den 70er Jahren übriggebliebene Konflikt nur politisch entschärft werden kann. Daß dabei das Schicksal der Langzeitgefangenen im Zentrum aller Überlegungen stehen muß, ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Die offenbar im politischen Bonn vorherrschende Hoffnung, das „Problem RAF“ werde sich von ganz allein erledigen, ist erst mal dahin. Jeder muß wissen: Der rüde Weckvorgang von Samstag früh kann sich jederzeit wiederholen. Gerd Rosenkranz
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