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■ Die Protokolle der Weisen von OzonJohn Glenn, der älteste Mensch im All

In seinem Roman „Contact“, der dem gleichnamigen Film mit Jodi Foster zugrunde liegt, schildert der Astronom Carl Sagan eine Gesellschaft alter Herren, die um die Jahrtausendwende auf der Raumstation Methuselah die Erde umrunden. Außerhalb des Gravitationsfeldes der Erde haben sie ihre Lebensspanne beträchtlich erweitern können – um 10 bis 20 Prozent.

Im Sommer werden die USA das zweite Teilstück der geplanten Raumstation ins All schießen – das erste wird von Rußland ins All befördert – und vergangenen Freitag kündigte die Nasa an, daß sie den prominenten 76jährigen Astronauten und Politiker John Glenn im Herbst ins All schießen wird. Wollen die Amerikaner die Raumstation Methuselah bauen und John Glenn zu deren Chef machen?

Seit den Anfängen der Raumfahrt beschäftigen sich die Raumforscher mit der Frage, welche Auswirkungen die Schwerelosigkeit auf Organismen hat. Sie schossen Amöben, Fruchtfliegen, Ratten, Hunde und natürlich Menschen ins All. Es zeigte sich bald, daß die Auswirkungen auf sog. niedere Organismen unbeachtlich, die auf höhere Organismen aber bemerkenswert waren. In Zustand der Schwerelosigkeit verwenden Organismen wenig Energie darauf, der Schwerkraft zu widerstehen, wodurch der Verbrauch von Sauerstoff in den Zellen stark herabgesetzt ist. Oxidationsvorgänge in den Zellen aber, so mutmaßte schon in den 50er Jahren der deutsche Wissenschaftler Otto Warburg, sei letztlich die Ursache für alle Arten von Krebs. Die Raumfahrt könnte also auch in einem ganz physischen Sinne zu einem Vehikel zur Überwindung irdischer Beschränkungen werden, zu deren einschneidendsten natürlich der Tod gehört. Auch mit anderen Altersbeschwerden wie Osteoporose oder Erkrankungen der Herzkranzgefäße läßt sich's in schwereloser Umgebung besser aushalten. In Carl Sagans Vision gibt es auf Methuselah Leute, die nur noch im All leben und gar nicht auf die Erde zurückkommen können. Ist jetzt also damit zu rechnen, daß das All der neuste Kurort für reiche Alte werden wird? Statt nach Pistian oder Montegrotto Therme werden die hinfälligen Greisinnen und Greise nun ins All wollen, um dort von Rollstuhl und Krückstock befreit schwebend durch die Schwerelosigkeit zu kopskiekeln? Und das auf Staatskosten (die Privatwirtschaft ist ja noch nicht in der Lage derartige Höhenluftkurorte rentabel zu bauen), wo es doch soviel dringendere Aufgaben auf unserer Erde hier unten gibt. Etwas von dieser Empörung schwingt im grummelnden Widerstand mit, der sich in den Jubel um die Entscheidung der Nasa mischt, dem alten John Glenn ein Comeback ins All zu ermöglichen. Seit er 1962 zusammen mit sechs anderen Astronauten die Erde dreimal umrundete und es der USA ermöglichte, mit der Sowjetunion gleichzuziehen, die Juri Gagarin um die Erde katapultiert hatte, gilt John Glenn als Nationalheld.

John Glenn ist bestens beieinander, mit 76 noch topfit und fliegt wöchentlich sein eigenes Flugzeug von Washington ins heimische Ohio, das er im Senat vertritt. Eher könnte geltend gemacht werden, daß der Mann hier jenseits aller wissenschaftlichen Forschung eine Belohnung dafür bekommen soll, daß er sich als Senator immer für den Haushalt der Nasa eingesetzt, daß er so treu zur Regierung Clinton gestanden und die Demokratische Partei bei den Anhörungen um die Wahlkampffinanzierungsskandale im letzten Sommer so wortreich verteidigt hat. Die Nasa aber macht geltend, daß John Glenn nicht nur für solch einen Flug ins All bestens trainiert und überaus kompetent ist, sondern kaum ein Mensch über die Jahre hinweg immer wieder so gründlich untersucht worden sei wie John Glenn. Man könnte also sein irdisches Alterungsprofil mit seinem himmlischen vergleichen und daraus Rückschlüsse über Alterungsprozesse überhaupt ziehen. In einem Land, in dem 34 Millionen Menschen über 65 sind und die Alten schnell zur stärksten Wählergruppe werden, ein politisch durchaus interessantes Projekt.

Dem Verdacht, daß Altersheime im Weltall eine Zuflucht für Eliten aus dem Jammertal der Erde sind (und zwar auf Kosten jener, die diesem Jammer am meisten Unterworfenen sind), tritt Sagan in seinem Buch entgegen. Die Lebenserwartung ist nämlich nicht das einzige, was sich in großer Höhe ändert.

Es ist unmöglich in einer Erdumlaufbahn zu leben und zugleich eine nationale Perspektive auf unsere Erde zu behalten. Der Horizont wird buchstäblich weiter. Es wäre gar nicht schlecht, wenn jene, die Macht und Einfluß haben und Verantwortung für die Geschicke dieser Erde tragen, sie aus diese Perspektive sähen. Auf Methuselah tut das eine seltsam gemischte Gruppe alternder Politiker und Industrieller. Die Ergebnisse ihrer Gespräche schlagen sich in den „Protokollen der Weisen von Ozon“ nieder.

Und doch, die Entscheidung der Nasa riecht nach Pension erster Klasse – John Glenn will sich dieses Jahr nicht erneut der Wahl zum Senat stellen. In Sagans Roman beschließt der exzentrische Industrielle und Milliardär Hadden, sich, wenn seine Zeit gekommen ist, in eine Raumkapsel zu begeben, die ihn auf Nimmerwiedersehen in die Tiefen des Weltalls befördert. John Glenn darf man wünschen, daß er wie damals wohlbehalten zur Erde zurückkommt. Peter Tautfest

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