■ Die Partei hat auf die falsche Klientel gesetzt: Kein Ausweg für die FDP
Mit Interesse habe ich die Debatten in der taz über eine stärkere Gemeinwohlorientierung unseres Landes gelesen. Zeitlich ein wenig versetzt, darüber, wie die FDP sich ein politisches Überleben sichern könnte. Kürzlich wurde in der taz darauf hingewiesen, daß rechtspopulistische Themen in Deutschland zwar virulent, aber auf eigentümliche Weise politisch verwaist seien (Franz Walter). Eine um ihre liberale Miniminderheit entlastete FDP könne sich an rechtspopulistischen Themen wiederaufrichten und ihre Krallen tief ins ebenso verwirrte wie reaktionsbereite Kleinbürgertum versenken, hieß es. Die FDP also als national-konservative Partei.
Ich bezweifle, daß diese Auffassung und die dieser Auffassung zugrunde liegenden Wahrnehmungen richtig sind. Richtig ist zweifellos, daß die traditionellen Mitte- rechts-Parteien CDU und CSU bis dato Mühe haben, eine aus vielerlei Gründen desillusionierte und zudem traditioneller Feindbilder beraubte Anhängerschaft fest an sich zu binden. Aber niemand sollte die Fähigkeit des politischen Managements von CDU und CSU unterschätzen, auf neue Entwicklungen im rechten Lager zu reagieren. Es muß diesem Management lediglich richtig auf den Nägeln brennen, dann legt es los. Die Auszehrung der FDP in Verbindung mit der Liebäugelei zwischen rechtem FDP-Rand und floatendem populistisch-konservativem Bürgertum würde von CDU wie CSU geradezu als Herausforderung begriffen werden. Man wird einen Prozeß der Hinwendung zu rechtspopulistichen Themen organisieren und erfolgreich betreiben.
In die Figur der Fiktion gekleidet, bedeutet das: Ein Haider wäre rasch eingefangen. Er wäre als rechter Flügelmann und stellvertretender Vorsitzender der CSU oder noch besser der CDU hoch willkommen. Ein Haider würde sich der Versuchung, die in dieser Möglichkeit läge, kaum entziehen können. Der changierende Nationalismus Wolfgang Schäubles, die rabiate Mumienökonomie des Unions-Mittelstandes und das politische Grenzgängertum im rechtsradikalen Bereich nach Art Lummers sowie ein Haider ergäben eine attraktive Komposition. Haider müßte nicht mal täglich Kreide fressen. In dieser Fiktion sehe ich, daß die sogenannten Republikaner den Selbstauflösungsantrag stellen.
Daher stimme ich der These vom rechten Ausweg für die FDP nicht zu. Ich sehe einschlägig bekannte rechte FDP-Vertreter in der Funktion der „Durchlauferhitzer“ zur Union. Wenn es für die Union ernsthaft darum ging, den Versuch abzuwehren, Fleisch vom eigenen Fleisch zu verlieren, dann war sie nach einer gewissen Inkubationszeit stets auf der Höhe – übrigens in einem auffälligen Gegensatz zur SPD.
Einen liberalen Ausweg gibt es für die FDP ebenfalls nicht. Die liberalen, der FDP der siebziger Jahre zugeneigten Geister haben zu oft erlebt, daß und wie Graf Lambsdorff, Kinkel und andere im Tagesgeschäft mit der Union ihre Grundsätze verrieten. Zugespitzt gesagt: Liberal ist man nicht mehr durch die Nähe zur oder durch Mitgliedschaft in der FDP, sondern dadurch, daß man ihr die kalte Schulter zeigt.
Die Erben von Heuß, Döring und Flach, die Kinkels, Gerhardts, Möllemanns und Westerwelles, haben nach der Zeitenwende 89 abgeschätzt, welche Chancen im Trip nach rechts oder ins Linksliberale liegen könnten, und sich für einen anderen Weg entschieden. Sie haben die FDP auf eine Klientel hin orientiert, für die die politische Konkurrenz nicht viel im Angebot hatte. Es ist eine Klientel, die viel zu versprechen schien, die sich freilich dauerhaft weder politisch einbinden, geschweige denn politisch organisieren läßt. In der taz wurde diese Klientel vor wenigen Tagen so umschrieben: „Diese Gruppe expandiert wie ihr Lebensstil: wie teure Mehr-Sterne- Restaurants, italienisches Schuhwerk, edles Design, noble Sakkos, weite Reisen.“
Diese Klientel ist erfolgsorientiert und mag es auch schick finden, mal grün zu wählen oder ein wenig mit der SPD zu flirten (eher ersteres als letzteres). Es sind Leute, die teils fabelhafte Schulen besuchen, sich in ihren Dienstleistungsfunktionen als Elite, als neue Meritokratie begreifen, die sogar taz lesen. Sie sind freilich nicht an einer politischen Heimat interessiert, sondern daran, sich auf Barbados ebenso wohl zu fühlen wie in Düsseldorf, in Marbella, Kitzbühel oder Berlin, München und anderswo.
Diese Schicht ist Ergebnis der Bildungsrevolution, die im Westen unseres Landes stattgefunden hat; dann Ergebnis fehlgeschlagener Sozialisation in Familie und Schule sowie schließlich Produkt neuer, materiell gut ausgestatteter Berufe in der Dienstleistungsgesellschaft. Zum Teil hat diese Schicht in Unternehmen gelernt, daß totes Kapital allemal mehr wert sein soll als lebendiges, in den Köpfen der Menschen ansässiges Vermögen, und hat dementsprechend die prekäre Ausgrenzung von Wissen und Kenntnissen in der Strukturkrise mit vorangetrieben. Es sind Zeitgenossen und Zeitgenossinnen, für die die Vorstellung von einer sozialen Symmetrie im Lande, also vom Abbau krasser Verteilungsungerechtigkeiten, so exotisch ist wie der Ananasanbau am Südpol.
Der Versuch des früheren FDP- Generalsekretärs Hoyer, den ökonomischen Schutz der „Besserverdienenden“ wie einen Cordon sanitaire um diese in sich gefältelte Schicht zu legen, konnte nicht funktionieren, weil diese die Notwendigkeit einer solchen schützenden Aktion nicht begriff. Auch das ist aufschlußreich. Es zeigt sich hier, wie tief „Leistung-muß-sich- wieder-lohnen“-Parolen nach 1982 eingesickert sind, Bewußtsein verändert und gebildet haben. Es war übrigens aufschlußreich, daß die taz kürzlich darüber informierte, die dumpfe Stammtischdebatte über den Mißbrauch sozialer Leistungen habe im linken Meinungsspektrum gezündet. Will sagen: Für die einen soll die „Party“ endgültig vorbei sein, für andere selbstverständlich weitergehen.
Diese Entwicklung muß Sorge auslösen. Politik kann sich der Aufgabe nicht entziehen, wenigstens einen Teil der erwähnten Schicht wieder zurückzuholen und für den „konflikthaften demokratischen Diskurs“ (Fritz Vahrenholt) zu interessieren. Und das ist notwendigerweise Interessieren für das Gemeinwohl, für Zukunftsfragen, Kindergärten, Frauenförderung, Maßnahmen gegen den Sommersmog, für sichere Arbeitsplätze, für die Folgen und Chancen der Arbeitszeitflexibilisierung, für die Sicherung der Krankenversorgung und vieles andere mehr.
Patentrezepte gibt es nicht, die hat keine Partei. Aber auf den Versuch zu verzichten, Funktionseliten vor der mentalen Emigration zu bewahren, das könnte gesamtgesellschaftlich verheerende Folgen haben. Rudolf Dreßler, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD
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