■ Die Pädagogisierung des Generationskonflikts: Permanenter Schwebezustand
Einmal ein Ausländer, immer ein Ausländer. Mit dieser etwas abgewandelten deutschen Redewendung ließe sich zusammenfassen, wie in der hiesigen Öffentlichkeit insbesondere mit Jugendlichen umgegangen wird, die entweder als Ausländerkinder in der Bundesrepublik geboren wurden oder hier aufgewachsen sind. Da ist quer durch die gesamte Presselandschaft in Deutschland von „Ausländern der zweiten Generation“ die Rede. Nicht etwa von nichtdeutschen Einheimischen oder ausländischen Deutschen.
Nomen est omen, lassen sich doch mit diesem staubigen Begriff die Grenzen der Bürgerrechte dieses Landes problemlos abstecken. Besitzt du keinen deutschen Paß, bist du ein Ausländer, ob du nun die deutsche Grammatik im Duden auswendig kannst und dich ansonsten nicht wesentlich anders als jeder XY- Deutsche gerierst, ist irrelevant. Mann/frau als BesitzerIn eines ausländischen Ausweises ist nur ein halber Mensch – zumindest in diesem Land.
Das Vertrackte bei der ganzen Sache ist bloß, daß sich Migrantenkinder, die sich sprachlich und von ihrem Verhalten her von „deutschen“ Jugendlichen kaum noch unterscheiden, mit der Kultur und den Vorstellungen ihrer Eltern genausowenig am Hut haben wie ihre deutschen Alterskollegen mit deren Eltern. Mit einem kleinen, wenn auch fatalen Unterschied: bei den „Ausländern“ wird dies zum Problem erkoren.
Psychologische Momente werden nachgeschoben: „kulturelle Entfremdung“, lautet das Zauberwort. Den ausländischen Jugendlichen wird ein Identitätsproblem untergejubelt. So entsteht pädagogischer Handlungsbedarf. Ganze Sozialarbeitergenerationen zehren von diesem suggerierten Konflikt. Den wenigsten jungen Leuten, die ein „internationales Jugendzentrum“ besuchen, ist daran gelegen, wegen irgendwelcher kulturell bedingter, innerer Konflikte „betreut“ zu werden. Es geht ihnen schlicht um Spaß, um Kommunikation, um Neugier, um Dialog.
Viele „fortschrittliche“ Zeitgenossen geben sich redliche Mühe, nichtdeutsche Einheimische zu verstehen. Sie bieten diesen Jugendlichen ein Forum, stellen uneigennützig Räume zur Verfügung, helfen in jeder Lebenslage. Irgendwann wird aus dem privaten Engagement ein Verein, der sich aus öffentlichen Mitteln nährt. Die gibt es nur, wenn dem Ganzen eine anständige Organisation verpaßt wird. Schon werden Leute angestellt: Sozialarbeiter. Aus dem zwanglosen Treffpunkt wird schnell eine „Betreuungseinrichtung“. Wer sich zum Beispiel in Frankfurt am Main genau umhört, dem begegnet diese Genesis der „Jugend-Cafés“, „Mädchentreffs“, „Familienzentren“ und „Schreibstuben“ für Ausländer überall.
Ausländische Jugendliche werden von der Umwelt als undefinierbare Zwitterwesen behandelt. Ihre de facto deutsche Identität, mit welchen Inhalten sie auch belegt sein mag, wird so lange in Frage gestellt bis sich die Jugendlichen selbst in ein seelisches Spannungsfeld hineinmanövrieren. Dies ruft widerum den Sozialarbeiter auf den Plan.
Mit dem im wahrsten Wortsinn wieder„aufgeflammten“ Ausländerhaß der letzten Monate hat sich diese innere Zerrissenheit um ein Vielfaches verstärkt. Plötzlich sehen die Jugendlichen sich in der Situation, in der Uni oder im Lehrbetrieb das zu verteidigen, was sie bisher allenfalls als ihre Wurzel akzeptiert hatten: das „Heimatland“. Nach Mölln sagt kaum ein türkischer Jugendlicher noch, er wolle mit der Türkei nichts mehr zu tun haben. Denn spätestens die zaghaften Reaktionen der politischen Klasse auf die Morde von Mölln haben jedem deutlich gemacht, wo in der deutschen Politik die Prioritäten liegen. Anstatt die Gunst der Stunde zu nutzen, um die Diskussion auf Themen wie „doppelte Staatsbürgerschaft“ und/oder kommunales Wahlrecht zu lenken, schaukelte sich die politische Debatte mit polemischen Begriffen wie „Scheinasylanten“, „Asylmißbrauch“ und „Das Boot ist voll“ hoch. Hand aufs Herz! Welchem Deutschen, der von ausländischen Jugendlichen hört, fallen nicht zuerst Bilder von jungen Asylbewerbern ein.
Die den ausländischen Jugendlichen abverlangte Integration wird dadurch unmöglich gemacht. Wo auch immer nichtdeutsche Einheimische mitreden und mithandeln wollen, müssen sie eine Doppelrolle spielen: auf der einen Seite sollen sie bessere Deutsche sein (im Berufsleben, in der Schule usw.), auf der anderen entfremdete Ausländer bleiben (im Politischen, in den Parteien, bei den Behörden, für die Justiz).
Gegenüber der eigenen Familie ist der ausländische Jugendliche hilflos. Der elterlichen Autorität, zumeist ist das der Vater, tritt er als „Möchtegern-Deutscher“ auf, ohne real darauf verweisen zu können, daß seine „Integrationsbemühungen“ Sinn machen und gesellschaftlich honoriert werden. Die Eltern können diesen jungen Menschen deswegen nicht ernst nehmen. Zugleich greift die elterliche Autorität nicht mehr in einer Gesellschaft, deren pädagogische Maxime auf Selbstbestimmung, auf Emanzipation, auf Aufklärung basieren. Ziele und Normvorstellungen, die den „ausländischen“ Jugendlichen gerade von dieser Gesellschaft und von der hier herrschenden Pädagogik abgestritten werden. Einmal ein Ausländer, immer ein Ausländer? Franco Foraci und Pablo Diaz
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