Die Oldenburger bekommen ihr Theater zurück: Stehplätze unter der Prunkkuppel
Das Oldenburger Staatstheater erstrahlt in neuem Glanz. Nun muss es den frischen Wind des zurückliegenden Jahrs im Fliegerhorst-Exil hinüberretten. Der Generalintendant lässt sich am Samstag schon mal als Schnürbodenmeister erleben
Wer als Bremer im Oldenburger Staatstheater steht, wird die traditionell republikanische Verfasstheit seiner Hansestadt gelegentlich bedauern. Denn so eine ehemalige Residenz wie Oldenburg hat eben Pracht. Hat ein Theater voller Stuck und Blattgold, voller Pfauenreliefs und dekorativer Dichterprofile. Nun, nach einem Jahr Sanierung und gut zehn Millionen Euro später, hat Oldenburg auch wieder ein funktionsfähiges Theater.
Dass jetzt keine Stuckbrocken mehr aus der Kuppel fallen können und die Deckengemälde leuchten, ist das eine - die Erneuerung der Technik aber ist das Entscheidende. Schließlich waren die musealen Qualitäten des Zuschauerraums auch hinter der Bühne zu finden. Ein 1890 ausgebildeter Bühnenhandwerker hätte sich dort problemlos zurechtgefunden, was auf die endlich behobenen Probleme seiner heutigen Kollegen verweist: Jedes Kontergewicht zu den aufgezogenen Kulissen musste in 17 Meter Höhe per Hand befestigt werden, das konnten pro Stück bis zu 300 Kilo sein. 34 Handzüge sind nun durch elektronisch gesteuerte Maschinenzüge ersetzt. Die gewaltige Drehscheibe zur Bühnenbildverwandlung, deren letzte Zuckung vier Jahre zurücklag, ist durch ein größeres Nachfolgemodell ersetzt, aber auch die Klempner hatten Großaufträge, um Sanitäranlagen und Versorgungsleitungen zu ersetzen. Nebenbei gibt es nun erstmals ein Theatercafé. Und ein externes Produktionszentrum mit drei Probebühnen und Tanzsaal für fünf Millionen Euro.
Oldenburg hat das kleinste Staatstheater der Republik. Gleichwohl ist es ein Sechsspartenhaus - was es nicht nur der Existenz der sehr regen Kinderabteilung und der Zählung der Konzerte als eigener Sparte verdankt, sondern auch der Kooperation mit der auf Plattdeutsch produzierenden August-Hinrichs-Bühne. Die wird vom Staatstheater mittlerweile als "Niederdeutsches Theater" bezeichnet, womit Generalintendant Markus Müller die notwendige Distanz zum im NS-Staat hoch aktiven Namenspatron Hinrichs schafft. Der war unter anderem Landesleiter der "Reichsschrifttumskammer".
Müller, dessen Vertrag kürzlich bis 2015 verlängert wurde, hat nicht nur historisches Bewusstsein, er gehört auch zur seltenen Spezies der technisch versierten Intendanten. Wer mit ihm durchs sanierte Haus geht, kann über Nachhall-Zehntelsekunden ebenso diskutieren - wegen all des polstrigen Zierrats sind es zu wenige - wie über die nun synchronisierte Steuerung von Ober- und Untermaschinerie. In Mannheim rutschte Müller kommissarisch ins Amt des technischen Direktors, was nachhaltige Spuren hinterließ: An Tagen der offenen Tür pflegt er höchst selbst die technische Bühnenshow zu fahren.
Drei Rängen zum Trotz atmet der Innenraum des Theaters Intimität. Man fühlt sich hier nah beieinander, weil der Raum hoch, aber nicht tief ist. Seit der Sanierung hat das Haus nur noch 499 feste und 76 mobile Stühle, deutlich weniger als zuvor. Das liegt nicht nur daran, dass der Orchestergraben weiter wurde und auch "die Menschen immer breiter werden", wie Theaterfrau Sylvia Fritzinger sagt, also mehr Individualraum benötigen. Sondern es hat auch etwas mit historischer Fehlleistung zu tun: 180 der alten Sitze waren reine Hörplätze, ohne Sicht auf die Bühne, damit faktisch unverkäuflich. Nun haben die Oldenburger die Not suboptimaler Sichtachsen tatsächlich zur Tugend gewandelt - und Stehplätze eingeführt. Die 50 gepolsterten Aufstützbügel im zweiten und dritten Rang wirken durchaus komfortabel, sehen also keineswegs so aus wie für Arme im Abseits gedacht. Wenn es gut läuft, transportieren sie sogar einen Hauch von Scala oder auch Stadion ins ehrwürdige Staatstheater.
Bei aller Pracht: Den Oldenburgern hat es gut getan, ihrem Blattgold für ein Jahr den Rücken zu kehren und am Rande der Stadt, in einem Fliegerhorst Theater zu machen. Nicht nur die Ästhetik der Produktionen wirkte wie befreit, auch seitens der Bevölkerung gab es weniger Schwellenangst als im Traditionshaus am Theaterwall. 206.000 Besucher kamen auf das ehemalige Luftwaffenareal, damit gehört die Fliegerhorst-Spielzeit "zu den vier besten Spielzeiten der letzten 25 Jahre", so Müller. Nun will er "die Zeltlager-Atmosphäre" des Provisoriums hinüber retten an den neuen alten Standort.
Erste ästhetische Bewährungsprobe ist die "Zauberflöten"-Premiere am 1. Oktober. Das Gebäude selbst kann diesen Samstag beim "Tag der offenen Tür" besichtigt und gefeiert werden - wobei man aus historischen Gründen nicht überbordend sein sollte: Es ist kaum 120 Jahre her, dass das Haus bei einem Indoor-Feuerwerk versehentlich abgefackelt wurde. Dem Wiederaufbau, damals ohne Konjunkturpaket II, verdankt es seine nun auch von außen wieder strahlend frische neobarocke Prachtfassade.
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