■ Die Niederschlagung des Aufstands in Nicaragua: Kriegspiele
45 Tote und fast hundert Verletzte ist die erschreckende Bilanz der Kampfhandlungen von Esteli. Und keiner weiß, ob die blutige Schlacht den Anfang vom Ende der Aufstandsbewegung markiert, oder ob damit eine lange und grausame neue Phase des ewigen Bürgerkrieges in Nicaragua begonnen hat.
Die Entmobilisierung der letzten Contras vor etwas mehr als drei Jahren wurde als Schlußpunkt des Krieges gefeiert, der den revolutionären Umwälzungen der Sandinisten und deren Auswüchsen gegolten hatte. Doch kaum ein Jahr später tauchten erneut bewaffnete Gruppen auf: ehemalige Contras, die das versprochene Ackerland nicht bekommen hatten oder denen das Leben als Kleinbauern schlicht zu mühsam war. Der Volksmund nannte sie Re-Contras. Ziel ihrer bewaffneten Aktionen waren häufig sandinistische Genossenschaften, die als Überbleibsel des verhaßten Systems gesehen wurden. Bald begannen sich auch die Sandinisten wieder zu organisieren: bedrohte Bauernführer und ausgemusterte Soldaten. Ihre Aktionen waren zunächst vorwiegend defensiv: ein Schutzbund gegen die Re-Contras. Sie wurden als Re-Compas bekannt. Compa, das ist die in Nicaragua gängige Abkürzung für Companero. Die Reaktion der Regierung war zurückhaltend. Selbst nach brutalen Angriffen zog es die Regierung vor, die Kommandanten zu kaufen und den rebellischen Truppen die Erfüllung der zugesagten Versprechen in Aussicht zu stellen: Land, Kredite, Beratung, Sozialleistungen.
Die Versprechen wurden nicht oder unzureichend eingehalten. Gleichzeitig beschleunigte der Privatisierungsprozeß die Verelendung auf dem Lande. Beschäftigungslose Landarbeiter und ruinierte Kleinbauern strömen in die Städte, wo sie oft nur durch Mundraub überleben können. Die Re-Compas, die am Mittwoch Esteli einnahmen, wollten mit einer spektakulären Robin-Hood-Aktion auf die verzweifelte Lage aufmerksam machen. Das ging gründlich schief. Beim Überfall floß mehr Blut als erwartet, und der Bankraub erlaubte es der Regierung, die Angreifer als gemeine Verbrecher darzustellen. Erst als die Situation unter Kontrolle war, akzeptierte Armeechef Ortega den soziopolitischen Hintergrund und bot den Überlebenden Amnestie an. Wären die Rebellen ungeschoren davongekommen, so hätten Aufstände in anderen Städten die Folge sein können. Politisch und ökonomisch hat die heruntergewirtschaftete Regierung Chamorro nicht mehr viel anzubieten, um eine breite Aufstandsbewegung zu stoppen. Deswegen läßt sie die Waffen sprechen. Eine Methode, die soziale Explosionen in Lateinamerika unterdrücken, aber selten verhindern konnte. Ralf Leonhard
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