Die Namen der Tiger: Da waren‘s nur noch zwei
Ein Wissenschaftlerteam fand die Unterarten von Tigern zu kleinteilig definiert. Wo bisher neun waren, unterscheidet es jetzt nur noch zwei.
Tyger! Tyger! burning bright
In the forests of the night,
What immortal hand or eye
Could frame thy fearful symmetry?
Bei dem Designer des ebenso eleganten wie bedrohlichen Tigers dachte der englische Lyriker William Blake im Jahre 1795 bestimmt an Gott, heutige LeserInnen haben eher die Evolution im Sinn. Aber auch der Mensch beteiligt sich am Tiger-Design: in Erhaltungszuchtprogrammen für Tiger in Zoos. Beim so genannten Tiger-Management strebte man, gestützt auf über Generationen geführte Zuchtbücher, bisher vor allem nach Reinrassigkeit der Unterarten.
Von diesen - bisher zwölf - wurden einige im vergangenen Jahrhundert ausgerottet. Als lebende Exemplare im Freiland kommen heute noch fünf Unterarten vor: Amurtiger, Bengalentiger, Hinterindische Tiger, Malaysia- und Sumatratiger. Die sechste, der Südchinesische Tiger, ist noch in Zoos anzutreffen.
Alle zusammen zählen nur noch rund 4.000 Individuen auf der Welt. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) erklärt alle für „stark bedroht“ oder „vom Aussterben bedroht“. Auf der Tigeruhr ist es fünf vor zwölf.
Für den Artenschutz
Neun Unterarten sind zu viel, beschlossen im Juni dieses Jahres Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin und ihre Kooperationspartner vom Nationalmuseum in Schottland und vom Naturhistorischen Museum in Kopenhagen nach Auswertung hunderter von Tigerproben. Die Studie ist veröffentlicht im Fachjournal Science Advances.
„Nur zwei Tiger-Unterarten sind klar unterscheidbar“, heißt es im Pressetext der Teams: der „Sunda-Tiger“ (Panthera tigris sondaica) mit den ursprünglichen Verbreitungsgebieten Sumatra, Java und Bali, sowie der auf dem kontinentalasiatischen Festland vorkommende „Festland-Tiger“ (Panthera tigris tigris).
Die neue Unterteilung soll ebenso dem Artenschutz wie der Erhaltungszucht von Tigern nützen. „Schutzmaßnahmen und Erhaltungszuchtprogamme können jetzt einfacher, flexibler und somit effizienter gestaltet werden“, schreibt das IZW in seiner Presseverlautbarung.
Christian Kern (34) ist als Säugetierkurator im Tierpark in Berlin Friedrichsfelde, ein Tigerzucht-Praktiker. Hier können BesucherInnen lebende Amur-, Hinterindische - und Sumatratiger miteinander vergleichen. Sechs Amurtigerjunge, darunter im Frühjahr geborene Vierlinge, betreut Kerns Team zur Zeit. Würde er nach der Verlautbarung des IZW künftig auch seine aus Russlands Fernem Osten stammenden Amurtiger mit den Hinterindischen Tigern verpaaren?
Für die Anpassungsfähigkeit
„Nein“, sagt Kern: „Sie sind ja an verschiedene Lebensräume angepasst. Zum Beispiel entwickelt der Amurtiger ein sehr viel ausgeprägteres Winterfell. Und außerdem bestünde dafür auch keine Notwendigkeit. Denn die Amurtigerzuchten in Europa haben eine sehr breite genetische Basis: an ihrem Beginn standen viele Wildfänge“. Je breiter die genetische Basis, desto anpassungsfähiger an wechselnde Bedingungen ist eine Zucht.
Überraschenderweise empfiehlt auch das IZW, Amurtiger - obgleich keine eigene Unterart mehr – für sich zu züchten. Hingegen regt es an, Südchinesische mit Malysischen oder Hinterindischen Tigern zusammenzulegen, weil die Bedrohung abnimmt, wenn mehr Tiere zu einer Unterart gehören. Das erinnert erstmal ans Prinzip: reim‘ dich oder ich fress‘ dich!
Er habe noch keine abschließende Meinung zu den Thesen des IZW, sagt Christian Kern. Aber auch falls sie sich wissenschaftlich durchsetzten, habe die neue Klassifizierung für die Erhaltungszucht auf Jahre, vielleicht auf Jahrzehnte hinaus „wahrscheinlich erst einmal keine Bedeutung. Denn in Europa, Russland, Japan, Nordamerika, Australien und Südostasien züchtet man ohnehin nur Amur- und Sumatratiger in den jeweiligen Erhaltungszuchtprogrammen. Und diese Unterarten müssen auch gemäß den Ergebnissen des IZW getrennt bleiben“.
Erhaltungszucht im Zoo
Die Vorfahren der Sumatratiger wurden schon vor 6.000 bis 12.000 Jahren geographisch isoliert. Heute stehen sie der Gesamtheit der Festlandtiger taxonomisch gegenüber, sind dunkler gefärbt, haben einen üppigen Backenbart und rudimentäre Schwimmhäute. Auf der Insel leben nur noch etwa 400 Tiger, ihre Zahl nimmt ab. Dagegen wurden im Tierpark Berlin seit 1959 bereits 115 Sumatra-Tiger geboren. Das macht ihn weltweit zum zweiterfolgreichsten Zoo in deren Erhaltungszucht.
Vom Sinn dieser Arbeit ist Christian Kern überzeugt: „Solche Programme sind absolut notwendig. Wir halten eine Backup- oder Reservepopulation vor, um eines Tages verschwundene Bestände im Freiland zu ersetzen oder geschwächte zu stärken. Zweitens dienen die Tiger in unseren Zoos als wichtige Botschafter für ihre bedrohten Artgenossen im Freiland.“
Dezimiert werden Tiger überall durch Wilderer. Ihre Körperteile landen als traditionelle Medizin in China und Vietnam. „Das sind in der Regel nicht irgendwelche armen Einheimischen, die nebenbei mal einen Tiger schießen“, sagt Kern: „Die ganze Jagd auf Tiger ist hochorganisiert von mafiösen kriminellen Banden“. Außerdem gebe es inzwischen in Thailand und Laos Tigerzuchtfarmen – vermutlich für „medizinische Zwecke”.
Der Mensch und der Tiger
In Russland und Indien haben die Tigerpopulationen nicht zuletzt dank offizieller Kampagnen gegen die Wilderei wieder leicht zugenommen (rund 500 bzw. 2.200 Tiere). Trotzdem schwinden Tiger weltweit mit ihren Habitaten. Auf Sumatra verloren sie seit dem Jahre 2009 zwei Drittel ihres Lebensraumes. Ihr Regenwald musste, ebenso wie in Malaysia, Platz machen für Ölpalmenkulturen. Palmöl dient als Biotreibstoff und Bestandteil von Margarine, Süßigkeiten, Kosmetika. Besonders häufig ist es in Ökoprodukten enthalten.
„Es wäre mein Wunsch, dass der Mensch sich ein Stück weit zurück nimmt und dem Tiger einfach nur Raum zum Leben lässt“, meint Kern: „Aber so etwas haben wir selber mit unseren Wölfen und Luchsen in Europa nicht hinbekommen. Und so etwas wird auch in Zukunft nicht passieren“.
Jüngst durfte der Tierpark Berlin mögliche Standorte in der Provinz Jambi auf Sumatra ausgucken. Denn in einem gemeinsamen Projekt mit dem indonesischen Forstministerium und dem Zoo „Taman Safari Indonesia“ will man dort eine Station aufbauen, um von ängstlichen Dorfbewohnern vergiftete oder in Schlingfallen gefangene Tiger zu heilen und auszuwildern.
Diese Hilfe ist keine Einbahnstraße: zum Beispiel sollen durch Fallen verkrüppelte, nicht auswilderungsfähige Tiger dort in einer Zucht leben – oftmals musste ihnen eine Pfote amputiert werden. Erst deren Nachkommen, da nicht mehr Wildtiere, dürften nach indonesischem Gesetz ausreisen. Sie könnten Erhaltungszuchten in Europa aufpeppen.
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