Die Musikerin Soap&Skin: Existenzialistischer Zauber
Die 18-jährige Musikerin Anja Plaschg aus Wien - alias Soap&Skin - ignoriert die Medienhysterie um ihre Person und verwandelt Konzertsäle ganz souverän in heilige Orte.
Einfach so tun, als gäbe es das alles nicht: den Hype um das achtzehnjährige Popwunder aus Österreich mit Kindheit auf dem Dorf und schwerst beeindruckender künstlerischer Mehrfachbegabung, die schon mehr als ein Jahr vor ihrem soeben erschienen Debüt für unüberhörbares Rauschen in Medien und Musiklandschaft sorgte. Geht natürlich nicht.
Anja Plaschg, besser bekannt als Soap&Skin, ist wohl schon jetzt eine Ikone. Dass auch der Festsaal Kreuzberg in Berlin bei ihrem Auftritt, mit dem sie ihr Album "Lovetune for Vacuum" vorstellte, letzte Woche aus allen Nähten platzte, war das Mindeste, worauf man zählen konnte. Dass ihr Konzert auch wirklich berührte, war bei dem hysterischen Vorab-Rummel dann aber eine Überraschung. Eine jugendlich-fragile Stimme, leicht verklimpertes Klavierspiel und digital ruckelnde Unterstützung aus dem Laptop sind Bausteine der Musik von Soap&Skin. Aus diesen fertigt Plaschg Rohdiamanten, unscheinbare Melodien mit einer Unmittelbarkeit des Gefühls, wie es nur in jungen Jahren möglich scheint.
Was an dieser Musik sprachlos macht, ist ihr eigenwilliger und nicht altersgemäß erscheinender Formwille. Zerbrechlichkeit, Todessehnsucht und andere existenzielle Grundstimmungen handhabt die Künstlerin mit einer Selbstverständlichkeit, die für peinliche Momente nur wenig Raum lässt. Ist das Kunst oder Kitsch? Im Grunde stellt sich die Frage nicht, bei ihr ist die Grenze völlig verwischt.
Vergleiche mit popmusikalischen Ausnahmeerscheinungen wie Antony Hegarty oder Kate Bush sind nicht fehl am Platz. Doch was die zierliche Sängerin so außergewöhnlich erscheinen lässt, ist nicht nur ihre kindlich wirkende Unverstelltheit, sondern die Art, wie sie ihre Stimme als Instrument einsetzt. Sie springt vom Kinderstimmenregister hinüber zu markzertrümmernden Schreien oder bricht unvermittelt in verzweifeltes Heulen aus.
Diese Unberechenbarkeit, mit der sie die Songs ihres Albums vor morbider Gothic-Gefälligkeit bewahrt, steigert sich im Konzert zur emotionalen Belastungsprobe. Plaschg erscheint auf der Bühne in gewohnt düsterem Outfit - blass, mit wallenden dunklen Haaren und im schwarzen Kleid. Als sie sich an den Flügel setzt, haucht sie ein schüchternes "Hallo" ins Publikum. Wenn sie sich zwischen den Stücken bedankt, kann man das allenfalls an ihren Lippenbewegungen erahnen. Viel mehr sagt sie nicht. Allein nach dem ersten Stück wendet sie sich mit den Worten "Bitte schalten Sie diese Maschine aus" an die Technik - gemeint ist die Nebelmaschine. Als die Techniker nicht sofort begreifen, springt sie auf und schlägt demonstrativ auf das Gerät.
Die meiste Zeit sitzt Plaschg jedoch konzentriert an ihrem Instrument. Unsicherheit macht sich kaum bemerkbar. Hoch gespannt auch das Publikum, dessen ergebene Aufmerksamkeit irgendwie an den Empfang der Sakramente erinnert. Als zwischen zwei Stücken kurz gelacht wird, fährt die Musikerin mit einem Blick dazwischen, dem man nachts lieber nicht allein auf der Straße begegnen möchte.
Nach einer Dreiviertelstunde ist der Zauber vorüber. Fast. Ein neues Lied kommt noch als Zugabe hinterher, dann verabschiedet sich Plaschg mit einem "Danke", das so flehentlich klingt, dass es ein wenig unangenehm berührt. Oder sollte das etwa alles nur Teil einer medienkompatiblen Inszenierung gewesen sein? Selbst in diesem Fall hilft es nichts, Soap&Skin lässt einen dankbar und zumindest für den Augenblick verändert zurück. Schwer zu glauben, dass dies erst der Anfang ihrer künstlerischen Karriere ist.
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