Die Musikbranche erprobt neue Absatzwege: Virtuelles Headbanging
Hoffnung für die kränkelnde Musikbranche? Bands, die ihre Songs für Mitmachsimulationen wie "Guitar Hero" oder "Rock Band" bereitstellen, verkaufen anschließend deutlich mehr Titel.
Schon für sich genommen ist das Computerspiel "Guitar Hero" ein echtes Phänomen: Von der letzten, bereits dritten Variante namens "Legends of Rock" wurden laut Hersteller Activision seit Erscheinen im Jahr 2007 so viele Datenträger für PC und Konsolen abgesetzt, dass über eine Milliarde Dollar an Umsatz zusammenkamen. Das sei mehr als bei jedem anderen Game-Titel zuvor, jubelt man beim Anbieter.
Noch interessanter dürfte aber sein, dass sich "Guitar Hero" und seine Konkurrenten, die das Spielen in einer Band mit einem vereinfachten Controller-System mit Hilfe einer angeschlossenen Plastik-Gitarre nachahmen, inzwischen auf die reguläre Musikbranche auswirken: Einzelne Künstler und Formationen erkennen, dass das Geschäft mit Videogames lukrativer sein kann als der Verkauf von Alben.
Beispiel Aerosmith: Die Altrocker ließen sich von Activision mit "Guitar Hero: Aerosmith" eine eigene Version des Hittitels auf den Leib schneidern. Insgesamt 41 Songs sind darin enthalten - 29 von Aerosmith selbst, 12 von Bands, die die Band laut eigenen Angaben inspirierten. Das Ergebnis: Laut Hersteller verkaufte sich das Game in der ersten Woche rund dreimal so häufig wie das letzte Album der Formation um Sänger Steven Tyler und Gitarrist Joe Perry.
Kein Wunder, dass sich neben Aerosmith inzwischen auch die Heavy-Metal-Helden Metallica nicht lange haben bitten lassen und ebenfalls eine eigene "Guitar Hero"-Variante lizenzieren ließen, die sich ordentlich verkaufte. Praktisch für die Musikbranche scheint auch, dass "Guitar Hero" neben dem Verkauf der reinen Spielescheiben noch einen weiteren Absatzweg erschließt: Wer das Game auf seiner Konsole oder seinem PC laufen hat, kann später zusätzliche Musikstücke erwerben, um diese dann zu spielen.
Einzelne Bands, die in "Guitar Hero" vorkamen, sollen so bis zu 850 Prozent höhere Umsätze mit Internet-Downloads erzielt haben, heißt es bei Activision. Selbst der Musikalienhandel profitiert vom Boom um das Spiel. Bei der US-Fachhandelskette "Guitar Center" haben sich zwischen Frühjahr und Herbst 2008 die Umsätze mit E-Gitarren und entsprechenden Zubehörprodukten um fast 30 Prozent gesteigert; sehr beliebt sind dabei besonders die im Game verwendeten Modelle, die sich an echten "Klampfen" wie denen des Herstellers Gibson orientieren.
Activision-Boss Mike Griffith sagte auf der Unterhaltungselektronikmesse "CES" in Las Vegas, Umfragen zufolge interessierten sich zwei Drittel derjenigen, die "Guitar Hero" spielten, inzwischen auch dafür, längerfristig ein echtes Instrument zu lernen.
Dass sich die Games-Branche als lukratives Nebengeschäft erweist, haben auch die übrig gebliebenen Beatles Paul McCartney und Ringo Starr sowie die Erben ihrer ehemaligen Bandkollegen John Lennon und George Harrison erkannt: Sie schlossen einen Vertrag mit der Spieleabteilung des MTV-Konzerns, dem das "Guitar Hero"-Konkurrenzprodukt "Rock Band" gehört. Noch vor Ende 2009 soll nun ein Konsolen- und PC-Game erscheinen, dass sich allein auf die Musik dieser einen Formation konzentriert.
"Das Spiel wird die Gamer auf eine Reise vom ersten Beatles-Album "Please Please Me" bis hin zum letzten "Abbey Road" führen", hieß es zur Ankündigung vom Beatles-Musiklabel Apple Corps. Das Pikante dabei: Noch wird kein einziger Titel der "Fab Four" offiziell im Internet feilgeboten, weil sich Erben und das Duo McCartney/Starr seit Jahren nicht auf einen passenden Tantiemenschlüssel einigen können.
Bei "Rock Band" scheint das nun geklappt zu haben - vermutlich war das Angebot dann doch einfach zu lukrativ. "Rock Band", das vom Entwickler des ersten "Guitar Hero"-Titels stammt, zeigt ebenfalls bereits großen Einfluss auf Musik- und Musikalienbranche. Im Gegensatz zu den aktuellen "Guitar Hero"-Versionen kann man dort unter anderem Schlagzeug spielen und singen. Wie viele Jungbands sich nach dem Spielen des Titels gegründet haben, ist bislang nicht statistisch erfasst.
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