: Die Musik zur Tapete
■ Die Gruppe „hirn bein rennt“improvisiert heute ab 19.30 Uhr inmitten einer Installation von Peter Kogler in der Weserburg
Der Künstler Peter Kogler hört es bestimmt gar nicht gern, wenn man seine Installation in den Räumen der „Gesellschaft für aktuelle Kunst“in der Weserburg schlicht als Tapete bezeichnet. Aber strenggenommen sind es nichts weiter als drei scheinbar endlos lange Papierschlangen mit grünen Ameisen, Maschinenrohren und Gehirnwindungen, die sich an den Wänden miteinander vermengen. Und ob es zulässig ist, die „experimentellen Klangcollagen“, die das Trio mit dem schönen und unbedingt kleingeschriebenen Namen „hirn bein rennt“zu dieser Tapete improvisieren will, überhaupt als Musik zu bezeichnen, würde die Mehrzahl der melodiensüchtigen Musikverbraucher sicher verneinen.
Man muß also zuerst warnen, daß es streng nach Avantgarde riecht, was Jan Iseler auf dem Didgeridoo, Hardin Kirsch auf dem „Schlagwerk“und Peter Prummer auf der Baß-Gitarre so zusammenspielen. Melodien, Harmonien, Anfang, Mitte, Schluß sucht man vergebens. Oder sie passieren halt einfach, eher unbeabsichtigt, bei dem möglichst offen gehaltenen Zusammenspiel der drei, die vom Unerwarteten nicht gestört, sondern erst beflügelt werden. So sehen sie den extremen Hall in den Kunsthallen der Weserburg als willkommene Herausforderung für ihren Auftritt. Sie haben hier auch nicht vorher geprobt und können sich nur auf ihre Erfahrungen bei einem früheren Konzert in den Räumen stützen. Es wird also ein wirkliches Experiment werden: Mit den Musikern, die sich während des Spiels im Raum bewegen werden, und mit einem Publikum, das eher um die Musiker herum als vor ihnen stehen und die Collage so beeinflussen wird.
Auf den ersten Blick passen die grünen Ameisen der Installation und das Didgeridoo schon fast zu perfekt zusammen. Werner Herzog hat vor Jahren einen Film mit dem Titel „Wo die Grünen Ameisen träumen“über die Aborigines gedreht, und deren berühmtestes Instrument ist nun einmal der von Termiten (!) ausgehöhlte Baumstamm mit dem Namen Didgeridoo. Aber Jan Iseler betont, daß er nun extra nicht wie die australischen Ureinwohner auf diesem Instrument spielt und daß er es möglichst weit aus der Ethnoecke heraus haben will. So taugt als Inspiration für ihre Musik eher „ein extrem schönes Geräusch aus dem Hafen“(Hardin Kirsch) als die australische Volksmusik. Keiner der drei Musiker spielt seine Instrumente so, wie es im Lehrbuch steht. Hardin Kirsch trommelt außer auf den Fellen auch auf Wänden oder dem Boden, und Peter Prummer zerstückelt auf der Bass-Gitarre am liebsten die Sound und Rhythmusteppiche seiner Mitspieler. „Brachial-meditativ“nennt die Band selber ihre fragmentarischen Klangstrukturen.
Zu den „anderen Klangerzeugern“, die die Gruppe auf ihrem Info ankündigt, zählen außer dem Tampura, dem E-Saxophon und der Mundharmonika heute abend auch drei verschiedene Tapes, von denen Geräusche von Menschen, Maschinen und Insekten eingespielt werden und die so die drei gemalten Stränge der Installation spiegeln. Was genau an diesem Abend gespielt wird, wie es klingen wird und ob sie das Publikum meditativ befriedigen oder brachial in die Flucht spielen werden, können und wollen Iseler, Kirsch und Prummer vorher gar nicht wissen.
Wilfried Hippen
GAK heute abend 19.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen