: Die Musik des Erzählens
■ Hector Bianciotti spricht heute über das Verhältnis von Literatur und Musik
Als Hector Bianciotti, Sohn piemontesischer Auswanderer, 25jährig im Februar 1955 Argentinien, das Land seiner Geburt, verließ, hatte das weniger mit seinem Verlangen nach einer ihm gehörenden Sprache zu tun, als mit den engen Lebensumständen im peronistischen Buenos Aires. Und doch lassen sich im nachhinein die Stationen seiner schweren Einfindung in Europa als folgerichtig erkennen: Rom und Madrid brachten ihm kein Glück. Erst, als er 1961 nach Paris zog, war er auf dem richtigen Weg: Mit Paris und der französischen Sprache hatte Bianciotti seine ganz eigene Entscheidung getroffen.
Die umwegreiche Suche nach dem Eindeutigen, dem für ihn nicht Vorbelasteten, dem literarischen Sprachmaterial, das sozusagen nur zum Schreiben da ist, hat ihn hellhörig gemacht. „Jede Sprache hat ihre ganz eigene Musik“, sagt er, „und eine häßliche Sprache gibt es nicht.“ Schon seit langem interessieren den Literaten die Verbindungen zwischen Musik und Literatur. „Die Berührungspunkte liegen ja nicht gleich auf der Hand. Die Musik arbeitet mit dem reinsten Material, während die Literatur mit den Silben arbeitet, die an sich – schon weil sie für die verschiedensten Dinge gebraucht werden – kein reines Material sind, und doch bis zum Musikalischen hinreichen können. Literatur bedient sich einer Sprache, in der auch Banales besondere Bedeutung bekommt, sobald es durch Worte ausgedrückt wird, die in einer Kadenz liegen.“
Die dauernde Angst, einen Fehler zu machen, in der gewählten Sprache ein falsches Wort oder nicht immer den perfektesten Ausdruck gewählt zu haben, aber auch eine übergroße Liebe zu seiner Wahlsprache haben den barocken Geschichtenerzähler längst zu einem der perfektesten Handhaber der französischen Sprache gemacht, die der Autor stechend genauer und doch wie schwebender Sätze ganz rational und kühl analysiert: „Das Französische ist eine eher platte und einförmige Sprache. Ihr Reichtum sind ihre Vokale, ihre aus zwei Vokalen gebildeten Diphthonge. Und es ist eine Sprache, die reich an Timbres ist. Das entspricht der französischen Musik. Wenn Sie an die großen französischen Komponisten denken, Debussy und Ravel etwa, dann ist das eine Musik der Klangfarben.“
Niemand, so Bianciotti, sei je in der Lage gewesen, die Musik zu definieren. Zumindest einen kleinen Schritt in diese Richtung will er heute abend mit seinem Vortrag Le Mot et la Note gehen, indem er wenigstens versucht, die Affinitäten zwischen Musik und Literatur zu definieren und der Frage nachzugehen, was genau das Element ist, das im Inneren unserer alltäglichen Gebrauchssprache die andere Sprache, die der Literatur, ausmacht.
Bianciotti, der – in Paris lebend – seine ersten Bücher noch in spanischer Sprache schrieb, ist erst seit elf Jahren französischer Schriftsteller: Die Musik des Spanischen hat er gegen die französische getauscht. Von der zwingenden Macht einer „Muttersprache“ hält er folgerichtig nicht viel: „Der Körper ist eine molekulare Struktur und kann durchaus Affinitäten zu einer Sprache finden, die nicht unbedingt die der Kindheit sein muß.“
Thomas Plaichinger
„Le Mot et la Note“, heute, C.v.Ossietzky-Bibliothek (Stabi), 19 Uhr
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