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Die Mudschaheddin

■ Einige der Widerstandsgruppen sind viel älter als die Regierung, gegen die sie kämpfen

In der Öffentlichkeit werden die Mudschaheddin nicht selten als „Freiheitskämpfer“ gehandelt, die gegen die sowjetischen Invasoren die Waffen erhoben hätten. Diese Darstellung haben die Mudschaheddin selbst jahrelang vertreten, trotzdem ist sie falsch. Zwar ist der bewaffnete Widerstand in Gefolge und durch die sowjetische Intervention deutlich gestärkt worden, aber er ist dieser vorausgegangen. Direkt nach der „April-Revolution“ des Jahres 1978 hatten Mudschaheddin -Gruppen unter antikommunistischen und islamischen Vorzeichen begonnen, mit Waffen gegen die Regierung zu kämpfen - zum Teil noch, bevor diese ihre verhängnisvolle Politik beginnen konnte.

Wenig beachtet wurde, daß manche Organisationen bereits deutlich vor dieser Zeit kämpften: Jamiat-Islami beispielsweise bereits seit 1974, Hisb-e-Islami und SAMA bereits seit Ende der sechziger Jahre - also unter der Monarchie, zehn Jahre vor der Regierungsübernahme der PDPA und zwölf Jahre vor der sowjetischen Intervention.

Weder die antiinterventionistische noch die antisozialistische Begründung des gewaltsamen Aufstands, die beide aus Gründen der Öffentlichkeitswirksamkeit in den Vordergrund geschoben wurden, machen den Kern der Politik der Mudschaheddin aus. Deren politische Substanz läßt sich eher auf folgende Elemente zurückführen:

1. Die wichtigsten und schlagkräftigsten Mudschaheddin -Gruppen (wie Hisb und Jamiat) können als radikal -fundamentalistisch und islamistisch bezeichnet werden. Sie wollen, auf einem anderen Weg als die PDPA, Afghanistan zu einem zentralen, „nationalen“ Staatswesen umformen, das dann als islamischer Gottesstaat von einer Kaderpartei geführt werden soll (Hisb). Jede Form von Demokratie oder auch nur das Wahlrecht für Frauen wären in diesem Konzept fehl am Platze.

2. Der andere Hauptflügel wird in der Regel als der „gemäßigte“ bezeichnet - was in westlichen Ohren angenehm klingen mag, von der Realität aber meilenweit entfernt ist. Gemeint sind Gruppen, die einer eher traditionalistisch -fundamentalistischen Linie folgen, die das Afghanistan von gestern verkörpern und die das Afghanistan der traditionellen Abhängigkeiten und Ausbeutungsstrukturen wiedererrichten möchten. Sie sind prinzipiell westlich orientiert und stehen nicht selten der theokratischen Herrschaft des saudi-arabischen Königshauses nahe, von dem sie beträchtliche Summen erhalten.

Über diese beiden politischen Grundkonzeptionen wölbt sich schließlich eine eher „modern“ anmutende Praxis: von Kriegsgewinnlern, Leuten mit Söldnermentalität und Kräften, die den Krieg insgesamt als Geschäft und zur persönlichen Bereicherung betreiben. Es ist kein Zufall, daß bis zu 70 Prozent der US-amerikanischen Hilfsgelder in dunklen Kanälen verschwinden und bei den eigentlichen Kämpfern nie ankommen: Geschäftstüchtige Mudschaheddin-Führer verkaufen Waffen und Nachschub in Pakistan auf eigene Rechnung, um unabhängig vom Verlauf des Krieges ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Die Brutalität und Grausamkeit der Kriegsführung der Mudschaheddin steht im übrigen derjenigen der Regierung in nichts nach. Anschläge auf Zivilisten mit Dutzenden von Toten, Abschüsse von Zivilflugzeugen, Massenerschießung von Gefangenen, Heroinhandel im großen Stil und Folter sind an der Tagesordnung.

Jochen Hippler

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