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Die Masse macht's Problem

Konjunkturflaute: Die drei größten deutschen Chemiekonzerne leiden unter der Kapazitätsausweitung in den vergangenen Boom-Jahren  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Die Chemieindustrie gibt sich menschlich. Zur Zeit fühlt sie sich niedergeschlagen und depressiv; Hoechst-Sprecherin Ursula Tober spricht gar von „Leidensdruck“. Die schwache Weltkonjunktur macht dem Industriezweig zu schaffen, wie die drei größten Konzerne der Branche bei der Vorstellung ihrer Herbst-Zwischenbilanzen in dieser und der nächsten Woche betonen. Die starke Mark belastet das Exportgeschäft, und eine Wende zum konjunkturellen Besseren ist nicht in Sicht.

Besonders arm dran wähnt man sich bei der Grundstoffindustrie, zu deren Produktpalette Kunststoffe, Fasern, Chemikalien und Farben gehören. In den 1980er Boom-Jahren hatten die Konzerne ihre Kapazitäten massiv ausgeweitet. „Das Teuflische ist, daß derartige Anlagen bei niedrigerer Auslastung wesentlich teurer produzieren und paradoxerweise mehr Beschäftigte gebraucht werden“, so Peter Kripzak von der IG-Chemie Hauptverwaltung.

Von den drei IG-Farben-Nachfolgerinnen ist hiervon insbesondere die BASF-Gruppe betroffen. Ihr Umsatz ging zwar nur um 2,5 Prozent auf 34,2 Milliarden D- Mark zurück. Aber der Gewinn vor Steuern sackte im Vergleich zum Vorjahr um 44,8 Prozent auf nunmehr 1,08 Milliarden D-Mark ab, wie der Konzern am Donnerstag meldete. „Wir setzen deshalb in der Gruppe die Anstrengungen zum Kostenabbau und zur Strukturverbesserung durch Devestitionen und Stillegungsmaßnahmen energisch fort“, wird aus der Chefetage in Ludwigshafen gemeldet. Im Klartext heißt das Arbeitsplatzabbau: Heute verdienen noch rund 125.600 beim BASF-Konzern ihren Lebensunterhalt; vor einem Jahr waren es noch 5.000 mehr.

„Die geplante Gesundheitsstrukturreform wird zusätzliche Belastungen in noch nicht übersehbarem Ausmaß bringen“, klagt der Präsident des Verbandes der chemischen Industrie und Hoechst-Chef, Wolfgang Hilger – und suggeriert, daß die Pillenhersteller bereits durch die Blümsche Gesundheitsreform in Mitleidenschaft gezogen wurden. Tatsächlich aber strichen sie seither fette Milliardengewinne ein und schafften allein im letzten Jahr eine Produktionssteigerung um 5,5 Prozent. Deshalb auch sind die Gewinneinbrüche beim hier besonders engagierten Bayer-Konzern vergleichsweise gering ausgefallen. Auch Hoechst verzeichnete im Medikamentenbereich nach wie vor die höchsten Gewinne: Obwohl Arzneimittel nur 20 Prozent des Weltumsatzes ausmachen, bringen sie mehr als 50 Prozent des Konzerngewinns, berichtete Hilger gestern bei der Vorstellung der Zwischenbilanz in Frankfurt. Konzernweit sank der Gewinn somit relativ glimpflich um 19 Prozent auf 1,54 Milliarden DM vor Steuern.

Ganz schlecht drauf kommen die Chemiemanager beim Thema Auflagen zum Umweltschutz. „Zusammen mit einem äußerst stringenten Ordnungsrecht, das sich ständig weiter verfestigt, laufen wir beim Umweltschutz in eine Gesamtbelastung, die unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit überfordert“, klagt Wolfgang Hilger. Insgesamt hat die deutsche Chemieindustrie im letzten Jahr nach eigenen Angaben acht Milliarden Mark dafür ausgegeben. Die technischen und finanziellen Grenzen seien jetzt erreicht.

Aber nicht aus schnödem Eigennutz wollen die Chemiekonzerne, daß jetzt Schluß ist mit neuen gesetzlichen Auflagen. Nur mit Hilfe der Chemieindustrie sei weltweit eine „nachhaltige Entwicklung“ möglich; nur mit ihren Produkten könne eine Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung gesichert werden, proklamieren die Pharma-, Dünger- und Pestizidhersteller.

Besonders bei der Gentechnik fühlt sich die Chemieindustrie in Deutschland geknebelt. Während die gegenwärtige Regelung in Deutschland den Forschern in ihren über 1.000 Laboren relativ viel Freiheit läßt, sehen sich die industriellen Hersteller von der Einspruchsmöglichkeit der BürgerInnen belastet. Bayer hat aus dem jahrelangen Gerichtsverfahren seines Konkurrenten Hoechst über die Produktion von Humaninsulin denn auch die Konsequenz gezogen, sein erstes gentechnisches Medikament gleich im US-amerikanischen Berkeley zu produzieren. Hoechst will die Produktionsanlagen jetzt in Frankreich und Japan aufbauen.

Das Gemurre der Chemiegiganten stößt in Bonn denn auch nicht auf taube Ohren. Die Genehmigungsverfahren für Produkte der unteren Sicherheitsstufe stehen bereits zur Disposition.

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