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Archiv-Artikel

„Die Magie der Debatte“

„Cicero“ will die Kultur der politischen Auseinandersetzung in Deutschland neu beleben. Ein Gespräch mit Chefredakteur Wolfram Weimer über die Patrizier und den Pöbel einer dekadenten Republik

INTERVIEW DANIEL SCHULZ

taz: Cicero . Warum ausgerechnet dieser Name?

Wolfram Weimer: Cicero ist der Urvater der politischen Debatte und geistiger Verfechter der „res publica“ – und Kämpfer gegen die Entartung der Macht. Er verteidigte das demokratische Gemeinwesen vor den egoistischen Machtinteressen der Caesaren. Und er hat dagegen keine Armee gesetzt und keine Ideologie, sondern die Debatte. Unser Magazin glaubt an die Magie der Debatte, aber sie wendet sich nicht gegen Einzelne, vielleicht gegen die Vermachtung der Gesellschaft. Ein Beispiel dafür sind Teile unserer Wirtschaftseliten in Deutschland. Diese attackieren permanent die Politik, dass diese nicht reformiere und Fehler mache. Das stimmt in Teilen zwar. Es stimmt aber auch, dass das Diskreditieren des Politischen oft von der eigenen Feigheit und dem eigenen Unvermögen ablenken soll. Und als Demokraten können wir kein Interesse an einer tiefen Diskreditierung des Politischen haben.

Cicero sprach nicht zum Pöbel, er sprach zu einflussreichen Leuten, den Patriziern.

Cicero wird bestimmt von den Eliten gelesen. Das können Patrizier oder Professoren oder Politiker oder politische Interessierte sein. Wir wollen für diese Zielgruppe eine relevante Stimme werden, ist doch klar.

Cicero ist gescheitert. Caesar wurde Diktator auf Lebenszeit. Nach Caesars Ermordung war auch die Republik am Ende …

Die Idee der „res publica“ wird nie scheitern. Im Übrigen glaube ich nicht, dass sich die Geschichte wiederholt. Da kann man den kulturellen Selbsterstarkungskräften der europäischen Gesellschaft ruhig vertrauen.

Cicero hat sich mit Caesar ausgesöhnt. Vielleicht hat er die Unvermeidlichkeit des Kommenden erkannt.

Ich sehe keine Unvermeidlichkeiten. Totalitäre Bedrohungen gibt es wohl, aber man kann gegen sie etwas tun. Ich glaube das wir mit dem 11. September 2000 und der darauf folgenden Zeitenwende ein grundlegend neues Selbstgefühl bekommen haben. Wir reden über die Weltwirtschaftskrise, über Terrorismus, Kriege und den Kampf der Kulturen – die Themen sind radikal andere als noch vor fünf Jahren. Der Ernst hat uns wieder, aber auch der Behauptungswillen freier Gesellschaften – das ist eine Grundsignatur unserer Zeit.

Caesaren sammelten Macht am Senat vorbei. Oft durch Brot und Spiele.

Das Problem gibt es auch heute. Das Parlament ist der originäre Ort, an dem Politik stattzufinden hat. Stattdessen häufen sich Ersatzparlamente. In der Mediendemokratie sind das Talkshows. Und in der Unterhaltungsdemokratie überlagert das Dschungelshow-Bewusstsein zuweilen das Sein. Gegen diese Formen politischer Dekadenz müsste die politische Klasse ihr Zentralorgan – das Parlament – neu beleben.

Caesar bildete ein Triumvirat und kaufte mit dem Geld von Crassus Einfluss beim Volk.

Ähnliches passiert auch heute. Wenn sich die SPD die Frankfurter Rundschau einverleibt, halte ich das für hoch problematisch, denn die Medien haben die Aufgabe die Politik zu kontrollieren. Und wenn die Politik anfängt, die Medien zu kontrollieren, ist etwas faul.

Cicero sprach vor dem Senat. Eine kleine und überschaubare Anzahl von Leuten.

Die politische Elite ist immer eine relativ kleine Gruppe. Aber eine besonders spannende. Deswegen gibt es in den USA und Großbritannien viele Magazine für den politischen Raum. Und eine Spielart von Magazinen, die reflektorische analytische Dinge zu relevanten Fragen abbildet, gibt es in Deutschland leider nicht. Es gab diese Reflektorien wohl in den Zwanzigern. An diese Tradition knüpft unser Cicero wieder an.

Cicero wirkte in der Metropole Rom, lebte und schrieb aber gern auf seinem Landsitz in Tusculum.

Auch Potsdam ist ein Tusculum. Es hat eine gute Tradition als Ort, wo sich Macht und Geist begegnen. Das geht zurück bis auf die preußischen Könige. Schon Friedrich der Große und Voltaire haben sich hier getroffen. Und Kurt Tucholsky machte hier die Schlussredaktion für die Weltbühne.

Erst unter den Caesaren erlangte Rom seine historische Größe. Warum sollte man das Ende der „res publica“ abwehren?

Weil Imperien unter machtpolitischen Kriterien vielleicht Größe haben, nicht aber unter moralischen, verteilungsethischen oder gar demokratischen. Ich möchte lieber in einem Land leben, das ein Stück ohnmächtiger ist und weniger imperial – aber dafür eine demokratische, reiche Kultur hat.