Die Lust an der Lust - beim Lesen verführt

■ Benoite Groults Bestseller „Salz auf der Haut“ gleicht einem Märchen: Mit einem ironischen Augenzwinkern erzählt es von der immerwährenden Leidenschaft zwischen einer Pariser Intellektuellen und ihrem omnipotenten Fischersmann

Heide Soltau

Ein sonniger Tag, ein bißchen Muße, ein Stapel Bücher - und plötzlich haut es mich um. Eine Liebesgeschichte. Und was für eine! Aus der Lesestunde ist ein erotischer Nachmittagsausflug geworden. Dabei hatte der Titel Aversionen hervorgerufen. Salz auf der Haut, das klingt billig nach Kiosk und Bahnhof, und daß der Roman auf der 'Spiegel'-Bestsellerliste steht, muß kein Zeichen für Qualität sein.

Der Roman mit dem schrecklichen Titel und der betörend schönen Geschichte gleicht jenen Räumen, die beim Aufwachen den Wunsch nach Mehr hinterlassen, und er übertrifft sie. Denn im Buch geht der Wunsch in Erfüllung: die französische Schriftstellerin Benoite Groult erzählt eine Liebesgeschichte mit Fortsetzung, die nicht der üblichen Dramaturgie von Rausch und Ernüchterung folgt. Diese Liebesgeschichte dauert, sie erstreckt sich über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren und ist am Ende genauso heiß wie am Anfang.

George, die Pariser Intellektuelle mit dem Namen George ohne s wie George Sand, und Gauvain, der bretonische Fischer, begegnen sich in ihrer Jugend. Am Anfang stehen nur Blicke und ein nächtliches Bad im Meer, aber das genügt, um in beiden einen erotischen Rausch zu entfachen, der sich nie erschöpft. Dabei gibt es nichts, was sie miteinander verbindet. Eigentlich. Sie kommen aus verschiedenen sozialen Schichten, sprechen eine andere Sprache, haben einen anderen Geschmack, vertreten andere politische Positionen und führen ein ganz unterschiedliches Leben. Gauvain heiratet ein einfaches, anspruchsloses Mädchen vom Lande, setzt vier Kinder in die Welt, steckt voller Moralempfinden und ist fest entschlossen, „ein anständiger Mensch zu bleiben“. Und er ist ein Macho. Georges Leben hingegen verläuft turbulenter. Nach ihrer Scheidung nimmt sie, promovierte Historikerin und Mutter eines Sohnes, einen Lehrauftrag an einer amerikanischen Universität an, entdeckt die Frauenfrage und zieht als Vortragsreisende durch die Welt. Eine linke Intellektuelle und Feministin mit wechselnden Lebensgefährten, die mit der kleinbürgerlichen Moral ihres Liebhabers nichts im Sinn hat. Und dennoch ist sie fasziniert. Gauvain bedeutet: Urlaub machen vom eigenen Bild, bedeutet, all das zu tun, „was ich in meinem blasierten Milieu nie gewagt hätte“. Dabei ist George sonst nicht unzufrieden, „mir genügte Jean-Christophs delikates Stummelschwänzchen oder Sydneys rührige Natter und deren mittlere Leistungen“, heißt es über ihre Männer, mit denen sie den Alltag teilt. Kräftige Bilder

Zugegeben, die Geschichte ist nicht neu. Wem käme nicht auch die schöne Lady Chatterley in den Sinn, sie, die es mit Wonne zu ihrem Naturburschen trieb. Kaum einer der französischen RezensentInnen hat sich den Hinweis auf den Roman von D.H.Lawrence verkniffen.

George ohne s jedenfalls ist hin und weg, wenn auch nicht ganz ohne Skrupel. Ihre innere „Anstandsdame“ setzt alles daran, ihr Gauvain zu vermiesen. Aber die Lust ist nicht klein zu kriegen - was durchaus wörtlich gemeint ist. Nach ihrem ersten gemeinsamen Abenteuer in einem Bett hat sich Georges Vulva in „eine ungeheuerliche, unverschämte, überquellende Aprikose verwandelt“. Ein Unfall, wie Benoite Groult schreibt, unvermeidliches Ergebnis unzähliger Penetrationen, denn Scheiden sind keine „unverwüstlichen Rohrleitungen“. Wer das für Kritik hält, irrt sich.George genießt ihre Ausflüge mit Gauvain, von denen sie „wie eine erschöpfte Reiterin, wundgescheuert und mit O-Beinen“, zurückkommt.

Wo sie das Sexuelle darstellt, greift Benoite Groult zu kräftigen Bildern: Je mehr George „mittlere und kleine Liebschaften ausprobierte, je mehr männlichen Geschlechtsorganen samt ihren Besitzern sie begegnete, je mehr sie Verbindungen einging mit den Köpfen, die diese Organe zu beherrschen vorgaben, desto einzigartiger erschien ihr ihre Verbindung mit Gauvain. Desto deutlicher erkannte sie auch, daß man aus den Geschlechtsorganen nicht unbedingt auf ihre Inhaber schließen kann. Der humorvollste Intellektuelle kann sich als schlichter Schlagbohrer entpuppen, der Verführer als Anbeter seines heiligen Penis, und der ungehobelte Kerl kann den feinfühligsten Goldschmied verbergen.“ Paris ist schockiert

Vielleicht sind die taz-LeserInnen robuster und können diese Stellen verkraften. Die französischen KritikerInnen haben es allesamt vermieden, ihrem Publikum Kostproben zu servieren, aus „Anstand“, wie die Kollegin in 'Madame Figaro‘ schrieb. Da fragt sich nur, wie sich die RezensentInnen bei der Besprechung von Elfriede Jelineks Lust aus der Affaire ziehen werden. Bei unseren NachbarInnen jedenfalls hat der Roman von Benoite Groult einiges Aufsehen erregt, und in der renommierten Fernsehsendung L'Apostrophe wurde die Autorin gar der Pornographie verdächtigt.

„Die hübschen verbotenen Worte. Es war nicht leicht, denn ich benutze sie nicht beim Sprechen. Dazu bin ich zu gut erzogen“, hat Benoite Groult in einem Interview gesagt - und gelacht. Die 69jährige Schriftstellerin hat viele schockiert. Sie hat sich in Frankreich als Feministin einen Namen gemacht und wird seit ihrem 1975 erschienenen Pamphlet Ödipus Schwester in einem Atemzug mit Simone de Beauvoir genannt. Und nun der Roman Salz auf unserer Haut, in dem eine Frau auf einen Macho abfährt, ist das nicht ein Widerspruch? Vielleicht. Aber Benoite Groult beschreibt ja nicht das „liebevolle, leidenschaftslose Gleichgewicht“, das wir Ehe oder feste Zweierbeziehung nennen, sondern einen Liebesrausch. Und der lebt eben nicht von dem vernünftigen Teil in uns. (Göttin sei Dank. d.sin) „Sich lieben bedeutet, zwei zu bleiben bis zur Zerrissenheit. Lozerech (der andere Name Gauvains) ist nicht meinesgleichen und wird es niemals sein. Aber vielleicht ist es das, was unsere Leidenschaft begründet“, schreibt Benoite Groult.

Fremdheit leben, die Differenz kultivieren - liegt darin nicht das ganze Geheimnis sexueller Spannung? Ist es nicht das, was wir erleben, wenn wir uns frisch verliebt haben, das Unbekannte, Fremde? Und tun wir nicht alles, um uns den anderen geschwisterlich anzuverwandeln, weil es Angst macht, das Fremde, und weil die Betonung der sexuellen Differenz unseren Bemühungen um Emanzipation widerspricht? Die Philosophin Elisabeth Badinter hat in ihrem Buch Ich bin Du 1986 die These aufgestellt, daß die Entstehung des androgynen Menschen in den letzten 20 bis 30 Jahren mit einer grundlegenden Veränderung der emotionalen Beziehungen verbunden sei. Folge dieser Entwicklung sei ein Weniger an Leidenschaft und ein Mehr an Zärtlichkeit. „Die Leidenschaft ist dabei auszusterben, ebenso wie der sinnliche Rausch“, schreibt Elisabeth Badinter: „Unser sich wandelndes Herz strebt nicht mehr nach den Qualen des Begehrens.“ Selbstironie

Benoite Groult ist zu klug, um diese Seite ganz auszublenden, und hat ihre Heldin mit der nötigen Portion Selbstironie ausgestattet. Wenn wir Zeuginnen werden, wie sich die alternde George für Gauvain schmückt: wie sie zum Friseur hetzt und sich Locken verpassen läßt, um schließlich wie ein „Angorahund“ auszusehen, wie sie ein frivoles Spitzenhemdchen anzieht, den Kamin heizt und das Licht dämpft, um ihrem Geliebten wie die „Königin von Saba“ entgegenzutreten, dann hat Benoite Groult die Lacher auf ihrer Seite. Nein, George ist keine Frau, die so einfach zur Identifikation einlädt, und schon gar nicht ist sie immer sympathisch. (wie sympathisch. d.sin) Das hat Benoite Groult in den Interviews mehrfach betont. Von außen betrachtet wirken Liebende eben lächerlich.

Im übrigen ist George nicht etwa Opfer ihrer Lust, oder, um es altmodisch auszudrücken: Sie ist Gauvain nicht verfallen. Im Gegenteil. George lebt ihre Lust, eben weil sie eine selbständige, mit ihrem Alltag zufriedene Frau ist: „In Wahrheit ist es, entgegen allgemeiner Behauptung, der Mann, dem die Liebe zusetzt. Der Mann entleert und erschöpft sich, während die Frau aufblüht. Außerdem kehre ich erfüllt in ein angenehmes Leben zurück, zu einem Mann, der mich erwartet, und in einen Beruf, der selten an meinen Kräften zehrt.“ Die Frage ist nur: wo sind die Naturburschen, die noch so glänzend funktionieren? (Dieser Frage kann ich mich nur anschließen. d.sin)

Wie dem auch sei, das Buch beschert uns allemal einen erotischen Nachmittagsausflug - im Liegestuhl in der Sonne.

Benoite Groult: Salz auf unserer Haut, Droemer Knaur Verlag München, 320 Seiten, 34 DM