Die Lust am Skandal

Der Künstler „Monke“ Herbert Rauer provozierte einst den taz-Frauen-Streik. Jetzt stellt er Körperteile aus Aluminium aus. Die Galerie verhängt ihre Fenster. Doch der Skandal lässt auf sich warten

von LIA PETRIDIS

Vor 16 Jahren er es geschafft. Die Provokation. Die Frauen der taz legten ihre Arbeit nieder. Wehret den Anfängen, dachten sie sich und zogen gegen einen „entwürdigenden Humor“ zu Felde. Anlass damals: Der Osnabrücker Künstler ließ auf einer Leinwand eine Banane in einer Vagina verschwinden und dieses Gemälde wurde in der taz gedruckt.

Nun ist der Künstler zurück. „Monke“ Herbert Rauer ist kein breitbeiniger, öliger Vollprolet mit ausladendem Gestus und lauter Stimme, sondern überraschend verhalten. Und hat das diebische Vergnügen am Skandal im Blick.

Er stellt in der Galerie „eyeloveyou“ in Prenzlauer Berg aus. Wieder mal Genitalien. Aber nicht nur. Er schmückt sich mit bohemistischer Aura und bewegt sich damit auf sicherem Terrain, denn wer Kritik übt, ist im Ernstfall eben einfach zu vulgär, ihn zu verstehen. Kann er nachvollziehen, dass Frauen empört auf seine Übersetzung weiblicher Geschlechtlichkeit reagieren? „Nein“, kann er nicht. Was zu erwarten war. Ihm ist die deutsche Nachwuchskunst zu bieder: „In England wird mehr gewagt.“

Wagen will auch Rauer was. Aluminium-Skulpturen sind es diesmal. Genitalien sind auch wieder dabei. Genitalien liegen Rauer am Herzen. „Ich mag die so gerne“, sagt er. Er habe einen Faible für die einfachen Dinge. Naheliegendes. Basics. „Banane ist nahe liegend. Banal.“ Und deshalb, so heißt es im Vorfeld seitens der Galerie, müssten diesmal die Fenster verhängt werden, denn, Skandal, Skandal, die bürgerliche Spießermeute wird in ihrer Abscheu wenigstens den Alu-Penis von seinen metallenen Beinen reißen. Doch nichts dergleichen geschieht.

Prenzlbergmäßig stehen die Menschen im obligatorischen Schwarz bei der Vernissage in der Galerie herum, lauschen der Bontempi-Musik vom Band und geben vor, sich prächtig zu amüsieren. Gespräche über Penetration werden geführt. Natürlich auf der Metaebene. Die Galerie wurde erst Anfang Oktober eröffnet. Bewusst kaprizieren sich Galerist Godot (wie Becket), Bertold (wie Brecht), Eörs (wie der ungarische Freiheitskämpfer) Bartha (wie Illic ?) und Galeristin Eugenia Selkind auf Erstausstellungen junger Künstler, mit denen sie in Zusammenarbeit Konzepte entwickeln.

Rauer beispielsweise bewohnt die Galerie für vier Tage, bevor die Ausstellung eröffnet wird. Macht sich vertraut mit dem Raum und überlegt, wie und wo er seine Objekte drapieren möchte, damit aufgerissene fleischfarbene Bäuche und kopulierende Pärchen harmonisch rüberkommen.

Wie es mit den Angeboten für Rauer nach der Ausstellung aussieht, weiß noch niemand. Denn die Provokation versandet, bevor sie sich in ihrer ganzen Pracht entfalten kann. Keine vermummten Frauen mit Bolzenschneidern, keine verhängten Fenster, und der erigierte Penis auf Beinen, der sich in all seiner Pracht an eine fleischfarbene Vagina lehnt, steht beschämt in der Ecke.

Normalerweise schlägt sich Rauer mit klassischer Bildhauerei durch und bedient damit auch mal deutschen Biedersinn. Den dann aber professionell. Mit viel Sinn für das Filigrane, das, was im gesellschaftlichen Konsens „schön“ genannt werden könnte, manchmal auch pathetisch schwül, oftmals experimentell. Diese Arbeit erfordert viel Zeit und Konzentration. Und sie ist nicht brachial, sondern langwierig.

Die Arbeit mit Aluminium ist für Rauer direkter und wirkt wie ein Befreiungsschlag nach Monaten klassizistischer Perfektion. Manchmal hat er eben keinen Bock auf Schön. Und was dann entsteht, kann man jetzt sehen. Die Gemüter der taz-Frauen haben sich mittlerweile beruhigt. Eine Redakteurin erklärt heute: „Na ja, weiterentwickelt hat er sich nicht, oder?“

Die Ausstellung ist bis zum 27. November in der Galerie „eyeloveyou“, Kopenhagener Str. 15 zu sehen