: „Die Linke hört nicht auf die Betroffenen“
Ron Dekel ist der neue Präsident der Jüdischen Studierendenunion. Im Interview spricht er über die Partei Die Linke und ihren Versuch, Antisemitismus „einfach wegzudefinieren“

Interview Nicholas Potter
taz: Herr Dekel, Sie wurden im März zum neuen Präsidenten der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands (JSUD) gewählt. Ihre Vorgängerin Hanna Veiler hat nach der Bundestagswahl gesagt, dass sie nach dem starken Abschneiden der AfD Deutschland erst mal verlässt. Haben Sie auch darüber nachgedacht?
Ron Dekel: Ich persönlich nicht. Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie, aber dafür müssen wir auch einstehen. Und das ist genau der Grund, warum ich mich für dieses Amt habe aufstellen lassen. Weil ich fest davon überzeugt bin, dass wir eine Wende schaffen können – sowohl mit der AfD, die wir sehr besorgt beobachten, als auch mit Parteien wie Die Linke, die sich jetzt auch vermehrt antisemitisch äußern, auch auf Spitzenebene. Ohne die beiden gleichsetzen zu wollen. Aber die Entscheidung von Hanna kann ich nachvollziehen, auch wenn ich das Interview mit der Jüdischen Allgemeinen, in dem sie das sagte, ein bisschen anders gelesen habe.
taz: Inwiefern?
Dekel: Wenn man als jüdische Person so aktiv und öffentlich präsent ist wie Hanna, dann ist es klar, dass man darüber nachdenkt. Es reicht eigentlich schon, jüdisch zu sein und ein Instagram-Account zu haben. Man wird ständig angefeindet. Hanna hat inzwischen klargestellt, dass das nicht heißt, dass sie Deutschland für immer verlassen möchte. Und dass das Wahlergebnis damit zu tun hat, aber nicht ausschließlich.
taz: Haben Sie Angst, als junge jüdische Person nun auch im Rampenlicht zu stehen?
Dekel: Nein, Angst nicht. Aber es ist eine sehr bewusste Entscheidung, sich öffentlich zu positionieren. Und es ist erschreckend zu sehen, was meine beiden Vorgängerinnen alles an Hass und Hetze erdulden mussten. Umso wichtiger ist es aber seit dem 7. Oktober geworden, sich sichtbar zu zeigen und auch eine laute Stimme zu sein, um klarzumachen, was Jüdinnen und Juden brauchen.
taz: Nachdem das Interview mit Veiler erscheint, postet Die Linke auf Social Media einen Beitrag mit einem Foto von ihr, die Parteiführung sei bestürzt, heißt es dazu. Nach Kritik wird der Beitrag gelöscht, Veiler fühlte sich instrumentalisiert. Auch die Linke sei „Teil des Problems, das viele junge jüdische Menschen dazu bewegt, das Land zu verlassen“, schrieb sie. Sehen Sie das auch so?
Dekel: Das ist genau das, was wir als JSUD seit Jahren ansprechen. Antisemitismus wird von Parteien und Organisationen immer dann kritisiert, wenn es ins eigene Narrativ passt. Währenddessen fallen Aussagen von Jan van Aken zu den Bibas-Geschwistern, die schockierend sind. Er wisse nicht, wie die Geiseln in Hamas-Gefangenschaft umgekommen seien. Heidi Reichinnek hat früher Aufsätze darüber geschrieben, warum man mit Islamisten „auf Augenhöhe“ sprechen müsse. Und Ferat Koçak läuft auf antisemitischen Demos mit. Die Probleme innerhalb der Partei sind so offensichtlich.
taz: Die Linke hat auf ihrem Parteitag im Mai die Jerusalem Declaration (JDA) zu Antisemitismus angenommen. Auch die JSUD hat die Entscheidung scharf kritisiert. Warum?
Dekel: Wir haben den Beschluss kritisiert, weil die JDA eine Definition ist, die das größte Problem, das Jüdinnen und Juden – insbesondere jüdische Studierende – derzeit haben, den israelbezogenen Antisemitismus, nicht ausreichend erfasst. Besonders nach dem 7. Oktober, seitdem diese Form des Judenhasses auf dem Campus allgegenwärtig ist, ist das fatal und lässt uns im Stich. Ein weiteres Problem, das ich mit dem Beschluss sehe, ist, dass die Linke, die – wie bereits erwähnt – ein massives Antisemitismusproblem in den eigenen Reihen hat, dieses einfach wegdefiniert, anstatt Antisemitismus konsequent zu bekämpfen.
taz: Diverse Politiker*innen der Linken argumentieren, dass die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) eine Kritik der israelischen Kriegsführung verunmögliche …
Dekel: Wenn sie das tun, dann zeigen sie, dass sie sich mit dem Thema unzureichend beschäftigt haben. In der IHRA-Definition steht ganz explizit, dass Israel kritisiert werden kann, ohne dass das antisemitisch ist. Es wird lediglich eine klarere Grenze gezogen. Die Linke, die sich sonst als Beschützerin von Minderheiten darstellt, hört hier nicht auf die Betroffenen. Fast alle ernst zu nehmenden internationalen und deutschen jüdischen Organisationen stellen sich klar hinter die IHRA. Ganz abgesehen davon stellt sich die Partei mit dieser Entscheidung gegen eine klare Mehrheit international anerkannter Antisemitismus-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler, die die IHRA als die bessere Antisemitismusdefinition ansehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei anderen Minderheiten vergleichbare Diskussionen über die Definition ihrer Diskriminierung gibt.
taz: Auch andere Parteien versuchen, Jüdinnen und Juden politisch instrumentalisieren. Eine „jüdische Aktionswoche“ der CDU sorgte kürzlich für Kritik. Wie gehen Sie damit um?
Dekel: Es ist schwierig. Natürlich will man mit allen demokratischen Parteien reden, gleichzeitig muss man aufpassen, dass man nicht nur eingeladen wird, damit sie ein Foto machen und am Ende sagen können, „wir haben mit einem Juden geredet, wir sind eine judenfreundliche Partei“.
taz: Und mit der AfD?
Dekel: Sowohl wir als auch der Zentralrat der Juden in Deutschland haben einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur AfD. Das heißt, dass wir mit der AfD und auch mit den Juden in der AfD nicht kooperieren. Angesichts der aktuellen Entwicklungen müssen wir ganz genau überlegen, wie wir mit anderen Parteien umgehen möchten. Was für uns ganz klar ist: Wir werden mit Menschen, die Israel das Existenzrecht absprechen, auch nicht kooperieren.
Ron Dekel ist 2002 in Nordrhein-Westfalen geboren und in Israel aufgewachsen. Seit 2011 lebt er in Deutschland. Er studiert Politikwissenschaft an der LMU München.
taz: Das Erstarken der AfD besorgt viele junge Jüdinnen und Juden in Deutschland. Aber was macht der Rechtsruck in Israel mit Ihnen? Benjamin Netanjahu regiert mit Rechtsradikalen, der Krieg in Gaza wird brutal fortgesetzt. Beeinträchtigt das Ihr Gefühl von Israel als letzter Zufluchtsort?
Dekel: Ich bin in Israel aufgewachsen, schaue aber mit großer Sorge auf die politischen Entwicklungen im Land. Trotzdem bleibt Israel ein Zufluchtsort. Gerade angesichts des Aufstiegs der AfD in Deutschland und der Empathielosigkeit großer Teile der Zivilgesellschaft in Deutschland nach dem 7. Oktober. Dass so viele Israelis auf die Straße gehen, um gegen diese Regierung zu protestieren, dass sich so viele Menschen jeden Schabbat am Platz der Geiseln in Tel Aviv versammeln, um die sofortige Freilassung der Geiseln zu fordern, das gibt mir Hoffnung.
taz: Wie haben Sie die Zeit seit dem 7. Oktober an den Unis erlebt?
Dekel: Es war einfach krass. Seit dem 7. Oktober kommt es regelmäßig zu verbalen Auseinandersetzungen und Beschimpfungen gegen jüdische Studierende. Ich studiere in München, da hängen „Intifada“-Plakate vor der Uni. Das antiisraelische Protestcamp dort hat mutmaßliche Hamas-Mitglieder eingeladen, um Online-Workshops durchzuführen. Für jüdische Studierende bedeutet diese Radikalisierung wirklich eine Gefahr für Leib und Leben.
taz: Wie bestimmt diese Bedrohungslage Ihren Uni-Alltag?
Dekel: Manche jüdische Studierende meiden den Campus komplett. Andere belegen ihre Vorlesungen so, dass sie nicht an den viel besuchten Standorten stattfinden. Man schränkt sich danach ein, wo man sich überhaupt noch sicher fühlt. Unsere Veranstaltungen mussten schon vor dem 7. Oktober unter Schutz stattfinden, jetzt umso mehr. Die Sicherheitskosten müssen wir immer mitbedenken, egal bei welchem Event.
taz: Die verheerenden Bilder aus Gaza emotionalisieren, manche Studierende haben auch familiäre Bezüge zu den palästinensischen Gebieten. Können Sie verstehen, dass sie an den Unis gegen diesen Krieg protestieren wollen?
Dekel: Ich spreche niemandem das Recht ab, gegen diesen Krieg zu protestieren. Auch in der jüdischen Community gibt es viele Menschen, die auf die Straße gehen, um einen Waffenstillstand zu fordern. Was ich nicht verstehen kann, ist, wenn sie sich einer gewaltvollen, antisemitischen Sprache bedienen. Seit dem 7. Oktober ist das einfach regelmäßig der Fall. Und dafür habe ich kein Verständnis.
taz: Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, hat neulich gefordert, dass der Verfassungsschutz auch an Unis eingesetzt werden soll. Finden Sie das richtig?
Dekel: An Universitäten sehen wir aktuell eine deutliche Radikalisierung junger Menschen. Islamistischer Terror wird verherrlicht. Jüdische Studierende werden bedroht oder sogar angegriffen. Wenn das kein Fall für den Verfassungsschutz ist, weiß ich auch nicht mehr. Gleichzeitig sind in einer Demokratie Freiheitsrechte wichtig, es muss abgewogen werden. Aber die aktuellen Zustände dürfen nicht einfach so weitergehen. Ich wünsche mir, dass man klare Regelungen schafft, damit Jüdinnen und Juden sich endlich wieder sicher am Campus fühlen.
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