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Archiv-Artikel

„Die Liebe ist so praktisch für die Männer“

LIEDERLEID Die Popfeministin Christiane Rösinger singt – nicht nur in der Band Britta. Ein Gespräch über männliche Zitierkartelle und die Freiheit der älteren Frau

Christiane Rösinger

■  Die Sängerin: Im Jahr 1985 kommt Rösinger aus dem badischen Dorf Hügelsheim nach Berlin. In Kreuzberg gründet sie mit Funny van Dannen und Almut Klotz die Band Lassie Singers. Nachdem sich die Gruppe Ende der Neunziger auflöst, spielt Rösinger in der Frauenformation Britta, die nach der Schlagzeugerin Britta Neander benannt ist. Sie betreibt auch das Label Flittchenrecords. Ihr Soloalbum „Songs of L. and Hate“ erscheint im Oktober 2010.

■  Die Autorin: Ihr erstes autobiografisches Buch veröffentlicht Christiane Rösinger 2008 unter dem Titel „Das schöne Leben“. Melancholisch-ironisch schreibt sie außerdem für verschiedene Zeitungen, auch für die taz.

INTERVIEW KIRSTEN KÜPPERS

taz: Frau Rösinger, der Sommer ist kurz gewesen. Schon Zeit für die erste Novemberdepression?

Christiane Rösinger: Ich hab letztens gedacht, vielleicht zieh ich die Novemberdepression mal in den Oktober vor.

Immer noch so schlimmen Liebeskummer?

Liebeskummer? Es ist eher Lebenskummer. Durch die neue Platte ist er ein wenig vergangen. Anderen bringt der Kummer eine andere Frisur oder eine Handtasche. Ich hab die Lieder.

Das Album heißt „Songs of L. and Hate“. Es klingt ein wenig nach Hildegard Knef. Landen alle Sängerinnen da früher oder später?

Außer einer etwas desillusionierten Weltsicht hat das Ganze nicht viel mit der Knef zu tun. Man hat diese Assoziation wohl, weil es sonst so wenige Frauen über vierzig gibt, die noch in der Musikszene präsent sind. Ich hab schon immer aus Spaß gesagt, wenn ich alt bin, mach ich auf Chanson. Dieser Indie-Rock, den ich mit meiner Band Britta die letzten Jahre gemacht hab, hat sich einfach überholt. Ich hatte Lust, ruhigere Stücke zu machen. Es ist ja auch schön, wenn die Leute den Gesang gut verstehen.

Der Titel Ihrer Platte ist von Leonhard Cohen geklaut, das Cover von Bob Dylan abgeguckt. Was hat die Popfeministin Rösinger mit diesen alten Männern zu schaffen?

Die Songs von Leonhard Cohen gefallen mir immer. Vor allem bin ich Neil-Young-Fan. Bob Dylan ist mir zu griesgrämig. Mich stört, dass er in seinen Songs so über die Frauen herzieht, an die er nicht rankommt. Vor Jahren hab ich ihn in Berlin gesehen: ein übellauniger Knilch, der nur lächelt, wenn er die Leute mit der Mundharmonika quälen kann. Aber natürlich hat Bob Dylan tolle Lieder gemacht. Die Idee, das Dylan-Cover mit verteilten Rollen nachzuspielen, stammt von Andreas Spechtl, mit dem ich die Platte zusammen gemacht hab.

Spechtl ist 26 Jahre alt. Sie umgeben sich gern mit sehr viel jüngeren Männern. Warum?

Meine Altersgenossen haben Beruf, Beziehung, Hund, Kind. Die sind so müde. Ich habe mich selber wahnsinnig azyklisch verhalten, indem ich schon mit zwanzig ein Kind bekam. Als ich dreißig war, war es aus dem Gröbsten raus. So landet man zwangsläufig bei den Jüngeren, wenn man jemanden zum Ausgehen sucht. Die sind widerstandsfähiger, robuster und flexibler.

Männer ab vierzig sind ja oft so wahnsinnig bräsig.

Es gibt Ausnahmen, ich kenne sogar ein oder zwei. Generell ist der Mann über vierzig eine Katastrophe. Was Musik und Ausgehen angeht, hat er alles gesehen. Über Jüngere zieht er nur her. Natürlich hat man mehr Erfahrung, wenn man älter ist. Aber muss man deswegen gleich alles schlecht machen? Ansonsten bleibt der vierzigjährige Mann gern zu Hause. Macht keine Ausflüge, geht höchstens mal essen.

Klingt nicht gut.

Als Frau wird man von jüngeren Männern mehr akzeptiert. Da fühlt man sich nicht wie eine alte Schachtel jenseits des Marktwerts. Jüngere haben das nicht nötig. Vielleicht, weil ihre Libido noch frischer ist. Mir tun junge Frauen leid, die sich mit diesen vergrätzten Vierzig- bis Fünfzigjährigen abgeben müssen.

Sind Frauen über fünfzig denn besser?

Da findet man eher welche, die noch neugierig sind. Die Schriftstellerin, die sich plötzlich für Heavy Metal interessiert. Die Fünfzigjährige, die nach der Scheidung zur Weltreisenden wird. Eine vorurteilsfreie Art, aufs Leben zu schauen, ist wohl das Privileg der Frauen.

Auf Ihrer neuen Platte blitzt zwischen all der Traurigkeit eine heitere Abenteuerlust auf. Man hat irgendwie den Eindruck, Sie haben bessere Laune.

Wenn man einen gewissen Punkt des Elends überschritten hat, kann man ja nur noch lachen. Aber stimmt. Ich bin auch nicht mehr so verzweifelt wegen der prekären Lage. Ich war mit dem letzten Buch viel unterwegs und mache jetzt ein neues Buch. Verglichen mit anderen lebe ich sehr bescheiden, ohne Haftpflichtversicherung und Zentralheizung. Aber es ist nicht mehr so, dass ich nicht weiß, wie es in drei Monaten weitergeht.

Vielleicht stimmt das Alter die große Melancholikerin Christiane Rösinger am Ende doch noch versöhnlich.

Spricht man mit Ende vierzig schon vom Alter? Die Musik- und Popbranche setzt immer ganz arg aufs Jugendliche. Wenn man so ein Alter erreicht hat, dass man einsehen muss, okay, ich bin wirklich nicht mehr jung, hadert man kurz. Aber da steckt auch eine große Freiheit drin. Klar, du könntest dich als ein paar Jahre jünger ausgeben. Aber selbst dann bist du nicht mehr jung. Man merkt so, dass man aus diesem Verwertungszusammenhang raus ist. Die Männer gucken einen nicht mehr abschätzig oder taxierend an. Die gucken einen einfach gar nicht mehr an. Das klingt traurig. Aber es ist eine totale Erleichterung. Ich kann jetzt eine verrückte, komische Alte werden.

Ihr neues Lieblingsbuch heißt „50 plus und endlich allein“.

Ich schreibe gerade an einer Persiflage auf Beziehungsratgeber. Das soll Mut machen zum Alleinebleiben. Ich rechne mit diversen Liebestheorien seit Platon ab. Dafür habe ich weit über hundert Single-Ratgeberbücher gelesen. Ein tolles Buch heißt „50 plus und endlich allein“. Die Autorin schreibt: „Ich hab so viele Beziehungen gehabt. Manche waren gut, manche waren schlecht. Aber es war auch alles so anstrengend. Jetzt möchte ich diesen Lebensabschnitt total genießen für mich allein, ich brauch keine Beziehung mehr.“ So was muss man sich erst mal trauen zu denken! Wir leben doch in einen Pärchendiktatur. Es herrscht so eine starke Paar-Ideologie. Von Kindesbeinen an wird uns eingebläut, dass nur die Liebe uns glücklich macht.

Aber manchmal macht Liebe doch auch glücklich.

Es gibt natürlich so vulgäre Vorformen, temporäre Gefühle und Erotik. Daran glaube ich. Außerdem sorgt eine starke Industrie dafür, dass wir am Konstrukt der Liebe festhalten. Ich habe eine Menge Bücher durchgearbeitet, in denen Paartherapeuten aus ihrer Praxis berichten. Da gibt es viele Frauen um die fünfzig, die total froh sind, dass die Ehe vorbei ist. Die der ewigen Gefühlsarbeit leid sind, die echt niemanden mehr wollen.

Das trifft jetzt auch auf Sie zu?

Irgendwie schon. Man ist einfach zufrieden mit allem. Ich hatte viele Beziehungen, aber zwischendurch war ich oft ein paar Jahre allein. Da dachte ich immer, mir geht’s schlecht, weil ich keine Beziehung hatte. Aber im Nachhinein ging’s mir genau in diesen Zeiten am besten: Ich hab Platten gemacht, Bands gehabt und mehr mit anderen Leuten unternommen. Trotzdem ist so ein Druck da, der sagt, man bräuchte unbedingt jemanden.

Das ganze Theater um die Liebe ist also Quatsch.

Natürlich! Das ist eine Erfindung des 18. Jahrhunderts. Ich bin gerade dabei zu überprüfen, ob es nicht sogar eine Erfindung der Männer ist. Denn die Liebe ist so wahnsinnig praktisch für die Männer. Das sagt heute niemand mehr, das findet man nur noch in den Feminismus-Klassikern aus den Siebzigern: Die Liebe ist neben dem Kinderkriegen das große Instrument, um Frauen zu unterdrücken.

Aber ist nicht auch Ihre eigene Platte aus einem großen Liebeskummer heraus entstanden?

Ja, ja. Manchmal erkennt man was und tappt trotzdem in die Falle. Die Liebe ist eben ein sehr süßes Gift. Man kommt so schlecht davon los.

„Es liegt nicht an den Männern, es liegt am System. An dieser Pärchen- Zwangsmatrix“

„Immer traurig und allein. Gewöhn dich dran! Es wird immer so sein“, singen Sie auf der Platte. Ist das die Zukunft?

Das ist so schön zynisch, eine richtig herzerfrischende Verbitterung. Wenn man frei von sämtlichen Illusionen ist, kann man ja nur noch lachen. Bei Beziehungen ist es oft so: Wenn der Freund dabei ist, guckt man ständig: Amüsiert der sich auch? Hat er schon wieder schlechte Laune? Man versucht ihn ins Gespräch einzubeziehen. Das stete Bemühen um den anderen, die Gefühlsarbeit, dass das Wohl des Freundes immer vorgehen muss, das ist wirklich Frauendienst. Letztlich ist man viel freier, wenn der Freund nicht dabei ist.

Vielleicht waren Sie immer nur mit Idioten zusammen.

Es liegt nicht an den Männern, es liegt am System. Wenn man es wagt, die Pärchen-Zwangsmatrix zu kritisieren, wird man gleich in so eine blöde Ecke gestellt. Jeder, der in einer noch so beschissenen Beziehung steckt, denkt, er wäre besser dran als einer, der allein ist. Aber das stimmt doch gar nicht. Es geht darum, dass das nicht reicht, was einem als Liebe angeboten wird und was man bei anderen sieht. Dass man mehr vom Leben erwartet.

Beruflich gab es bei Ihnen auch hochgesteckte Erwartungen. Um die schöne alte Geschichte noch mal zu erwähnen: Sie haben als kleines Mädchen auf dem Rübenacker schon Hits wie „Downtown“ gesungen.

Ich wollte immer Sängerin werden. Ich habe bei uns auf den Feldern die Karotte in die Hand genommen und Lieder aus der Hitparade nachgesungen. Ich hab das schon so oft erzählt, dass ich gar nicht mehr weiß, ob es stimmt. Meine Schwester sagt aber: „Natürlich stimmt das! Du hast uns total genervt!“

Mit Ihrer Band Lassie Singers hätte es in den Neunzigerjahren fast hingehauen mit dem ganz großen Erfolg. Noch enttäuscht, dass es dann doch nicht so geklappt hat?

Natürlich gab’s auch Jahre, wo ich gedacht hab: Alle meine Freunde sind berühmter geworden, alle können von der Musik leben: nur ich nicht. Aber mittlerweile bin ich ganz versöhnt.

Wie kommt’s?

Wenn man immer davon geträumt hat, Sängerin zu werden, und dann passiert es, dass Leute kommen und einem erzählen, wie viel ihnen die Lieder bedeutet haben. Mehr kann man nicht erreichen.

Manchmal singen Sie Latein.

Ich bin zum Abendgymnasium gegangen, da hatte man leider kein Latein. Dabei fand ich Latein immer toll. Bei Britta haben wir manchmal zum Spaß so ein Wirtshauslatein gesprochen, mit Badisch vermischt. Daher fand ich es jetzt lustig, ein paar lateinische Zitate in die Lieder zu basteln.

Wie sieht das künftig aus: nur noch Chansons oder wieder Rockröhre?

Wenn mal wieder so eine Welle kommt, dass Indie-Rock von Frauen über vierzig gefragt ist, kann man’s ja wieder machen.

Und woran liegt es jetzt noch mal, dass viele Jungs-Bands erfolgreicher geworden sind?

Erstens gehört immer ein bisschen Glück dazu. Zweitens haben wir Lassie Singers uns zu früh aufgelöst. Wenn wir noch ein bisschen länger durchgehalten hätten, wäre die Sache vielleicht anders verlaufen. Drittens wird eine Band, in der überwiegend Frauen sind, nie so gefeatured wie eine andere. Popmusik ist ein Männerbetrieb, der Sexismus ist systemimmanent. Dieses Konstrukt: die Jungs von der Band. Diesen Gründungsmythos: junge Männer, die die Familie verlassen und rausziehen, um Musik zu machen. Dann stehen da auf einmal so viele Frauen auf der Bühne. Das geht nicht zusammen.

Wieso?

Im Musikjournalismus wird eine Band mit Frauen nie so gehypt werden wie eine Jungsband. Da herrscht ein männliches Zitierkartell. Schreibende Jungs, die musizierende Jungs toll finden, und mit dem Über-sie-Schreiben an ihrem Erfolg teilhaben. Oder 40-jährige Männer, die in den Jungs ihre vergangene Jugend sehen, die sie vielleicht nie so hatten und durch ihre paternalistische Unterstützung nachleben. Es ist verrückt, aber du kommst nicht dagegen an.

Manche würden jetzt sagen: Das klingt ziemlich verschwörungstheoretisch.

Quatsch. Was für einen Grund gäbe es denn sonst? Dass sich Frauen einfach nicht für Musik interessieren, es nicht können, nicht so gut sind? Dass es in den Genen liegt, dass Frauen eher zum Zuhören vor der Bühne geboren sind als zum Agieren darauf? Es gibt zum Beispiel diese Jahrescharts der Musikmagazine. Redakteure und Mitarbeiter listen die CD des Jahres auf. Ich war da noch nie drin. Mit neun CDs noch nicht! Aber jede popelige kleine Jungsband wird erwähnt. Wenn die Musikjournalisten unsere Musik nicht gut fänden, wäre es ja okay, da muss man mit leben. Nur: Sie mögen die Band und erwähnen sie trotzdem nicht.

Ist das der Grund, warum Sie jetzt Bücher schreiben?

„Von Kindesbeinen an wird uns eingebläut, dass nur die Liebe uns glücklich macht“

Die Idee mit den Büchern kam, als die Lage mal wieder prekär war. Als klar wurde, von Musik leben ist ausgeschlossen. Das hatte keinen Sinn mehr. Die Bucherfolge von Entertainern wie Heinz Strunk mit „Fleisch ist mein Gemüse“ haben auch Leuten wie mir eine Tür geöffnet. Geschrieben hab ich eh schon.

Ist schreiben besser als Musik machen?

Wenn ich nur auf Musik setzen würde, wäre ich längst verrückt geworden. Die Digitalisierung! Der Niedergang des Musikjournalismus! Dass Konzerte zu Events aufgeblasen werden! Und dadurch, dass alles von Energydrinks und Bierfirmen gesponsert wird, muss alles so total toll sein. Die Bands brüllen „Hallo Berlin, seid ihr gut drauf?“ Da ist für mich kein Platz mit meinen traurigen Liedern. Aber wenn man nur mit Autoren, Journalisten und Verlagsleuten zu tun hat, vermisst man die Musiker wiederum. Da wird mehr getrunken, da geht’s lustiger zu. Und mit einer Band auf der Bühne ist es schon besser, als alleine irgendwo mit einem Buch zu sitzen.

Seit Februar sind Sie nun auch noch Oma.

Es erfüllt mich mit einem gewissen Stolz, dass ich mein Leben lang der heterosexuellen Beziehung ziemlich skeptisch gegenüberstand, nur etwa zwölf Monate meines langen Lebens mit einem bestimmten Mann zusammen war und deswegen jetzt Großmutter bin. Heute ist es noch viel verbreiteter als in den Achtzigern, dass Familie und Kinder immer gleich dieses Mann-Frau-Kind-Unglücksdreigestirn bedeuten muss. Schon in jungen Jahren war mir klar: Das ist nichts für mich. Trotzdem geht die Rösinger-Dynastie jetzt weiter. Das ist doch irgendwie großartig.

Die Dynastie war auch eine Art Familienunternehmen. Ihre Tochter hat früher bei Ihren Konzerten die T-Shirts verkauft.

Als meine Tochter noch klein war und wir mit der Band auf Tour gefahren sind, war sie viel bei der Oma auf dem Bauernhof in Baden, bei meiner Schwester oder bei Freunden. Ich habe das Tourleben immer als Ausgleich zu dem recht eintönigen Mutteralltag gesehen und war froh, mich da mal als Nichtmutter ausleben zu können. Seit meine Tochter Teenager war, ist sie mitgefahren als Merchandiserin. Zuletzt hat sie bei einem Auftritt von mit mitgespielt.

Und was macht Ihre Tochter als Mutter anders als Sie selbst früher?

Nicht viel. Ich war früher auch so ökomäßig drauf. Natürliche Geburt und so weiter. Ich hab sogar zwei Wochen lang die Windeln selber gewaschen. Dieser ganze Öko- und Muttermythos, der kam ja in den Achtzigern auf. Irgendwann hab ich mich doch ziemlich dagegen entwickelt. Ich glaube, das liegt einfach so in der Natur der Sache, dass die junge Mutter zum Biotum neigt.

Wie hat man sich Oma Rösinger vorzustellen?

Ich babysitte ein- oder zweimal die Woche. Ich hab ja auch Zeit. Das ist der Vorteil an einem recht unsteten Leben.

Kirsten Küppers, 38, ist sonntaz-Autorin. Sie ist nicht verheiratet und hat zwei Kinder