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■ Die Kommunalwahl-Ergebnisse im Norden lagen im TrendWeiter so, Deutschland!

Wäre am Sonntag abend nicht für die Kommunalparlamente in Schleswig-Holstein, sondern für den Bundestag ausgezählt worden, es würde spannend werden in der Republik. Endlich ein FDP-freier Bundestag, die Rechtsradikalen vor der Tür und eine ordentliche rot-grüne Mehrheit – Scharping könnte sich umgehend an die Umsetzung seines Versprechens – keine Große Koalition – machen. Natürlich lassen sich Ergebnisse einer Kommunalwahl nicht ohne wesentliche Einschränkungen auf Bundesebene hochrechnen, als Stimmungsindikator aber taugen sie allemal.

Beispielsweise für die Grünen. Der Grünen-Landesverband von Schleswig-Holstein galt bislang nicht gerade als der brain trust der Partei. Die SPD besitzt traditionell – man denke an Jochen Steffen – das Image eines progressiven, ökologisch angehauchten Landesverbandes, der den Grünen wenig Spielraum ließ und zudem durch die alles in den Schatten stellende Auseinandersetzung Barschel–Engholm beschnitten wurde. Sicher ist der gestrige Erfolg der Grünen auch mit ihrer Arbeit in den jeweiligen Kommunen begründet, der flächendeckende Zuwachs auf über zehn Prozent dürfte aber einem Meinungsklima geschuldet sein, welches weit über die einzelne Kommune hinausreicht. Noch wissen wir kaum etwas über die Chancen von Bündnis 90/Die Grünen in den neuen Ländern, im Westen scheint aber die Befürchtung, angesichts der Arbeitslosigkeit würden ökologische Fragen völlig an den Rand gedrängt, nicht begründet. Für die Grünen sind aber noch einige andere Veränderungen der Wahrnehmung von WählerInnen dazugekommen, die ihre Chancen bei der Bundestagswahl relevant erhöhen. Sie gelten nicht mehr nur als Ein-Punkt-Partei, und sie sind nicht mehr der Schrecken des bundesdeutschen Mittelstands.

Dies könnte das Aus für die FDP bedeuten und wäre damit der politische Ausdruck eines gesellschaftlichen Wertewandels, für den besonders der gehobene Mittelstand den Trend setzt. Die Grünen – das zeigen alle Auswertungen von Einzelergebnissen, werden nicht von Leuten gewählt, die um ihren Besitzstand fürchten und nun mit Schrecken auf die Diskussion um eine Ergänzungsabgabe bei einem Jahreseinkommen von 50.000 Mark starren, sondern gerade von denen, die bereit sind, für den ökologischen Umbau der Gesellschaft ihr Scherflein beizusteuern. Mit diesem Pfund können die Grünen, wenn sie es denn geschickt einsetzen, bei den kommenden Wahlen wuchern. Während Scharping weiter lavieren muß, soll er die Frage beantworten, wo denn das Teilen in dieser Gesellschaft beginnen kann, können die Grünen offensiv auf eine Klientel setzen, die bereit ist, über einen neuen Gesellschaftsvertrag zu diskutieren.

Die Auseinandersetzung zwischen SPD und CDU, die beide darauf fixiert sind, die vermeintliche oder tatsächliche Verunsicherung ihrer möglichen Wähler rhetorisch zu bekämpfen, läßt den Grünen einen weiten Spielraum. Die beiden Wahlgänge in Niedersachsen und jetzt in Schleswig-Holstein zeigen, daß immer mehr Wähler bereit sind, beispielsweise über eine ernsthafte Erhöhung der Mineralölsteuer nachzudenken. Da Scharping über eine Reformkoalition vor den Wahlen nicht reden will, haben die Grünen freies Feld. Jürgen Gottschlich

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