piwik no script img

Die Königin

■ Aleksandr Askoldovs verbotener Film „Die Kommissarin“ von 1967 ist jetzt im Kino

Maria Neef-Uthoff

Gefleckter Himmel, Kanonengetöse, Krach, Pferdegetrappel. Eine, die gerade gebärt, aus sich herauspresst, stöhnt, schreit. Ihre Schreie gehen über in Pferdegalopp, alles ist graugewaltig - zuviel. Die Mutter ist ein Ungetüm. Riesenhaft, breit, massig. Drei Monate war sie nur im Sattel, dieses Kind ist ihr Missgeschick. Mit ihrer Pistole hatte sie den Regimentsarzt zwingen wollen, eine schon zu späte Abtreibung vorzunehmen. Sie trägt das steife Bündel spazieren, hin zu zerstörten Kirchen und wieder zurück, rennt vor Verfolgern davon, bewegt sich selbst unbeholfen und steif in den weiblichen Kleidern. Sie singt dem Kind ein Lied vor, mit leiser rauher Stimme, ein russisches Lied mit trauriger Melodie.

Dicke Frauen haben etwas Königliches. „Ein Mann braucht zwei Arme, um Sie zu umarmen, Klavdija Vavilova.“ Sagt er und lacht, weil das Leben so traurig ist. Und wenn schon. Der'der ihr das Kind gemacht hat, war genauso groß wie sie. Dicke Frauen sind Königinnen der Gleichrangigkeit. Man sieht sie fast nie im Kino, es sei denn als eklige Vetteln, vom männlichen Auge frauenhasserisch ihrer Würde beraubt.

Die Liebesszene ist außerhalb des üblichen Frau-Mann -Schemas. Er küßt sie, eine, die so groß und so breit ist wie er selbst. Es ist eine gute Leidenschaft in der Ruhe.

Die Kommissarin von Aleksandr Askoldov: ein Film, der in der UdSSR zwanzig Jahre verboten war und jetzt endlich zu sehen ist. Der wichtigste Grund seines Verbots: Es ist nicht nur ein Film über die Auswirkungen der Oktoberrevolution kritisch zwar, aber doch nicht genug, um völlig auf das ganze Revolutionsgepolter zu verzichten -, es ist ein Film über russische Juden. Über ihre Zweifel an der „guten Internationale“, ihre Angst vor Pogromen, die Armut und die Quälereien, denen sie ausgesetzt sind. Jefim Magasanik, der jüdische Handwerker, muß das einzige zweite Zimmer im Haus räumen, sein Bett und alles, um es der eingebildeten Kommissarin zu überlassen, die schweigend und mürrisch den Platz einnimmt, um ihren neuen Menschen zu gebären.

Peng, peng, peng,, machen seine Kinder, sie haben sich Bärte gemalt. „Komm nur heraus“, sagen sie, „wenn du freiwillig kommst, wird dir kein Haar gekrümmt, niemand tut dir etwas zu leide“. Der schmeichelnde Ton, die langen erwachsenen Sätze kommen nicht fremd aus den Kindermündern. Das älteste Mädchen tritt raus, wird brutal überfallen, niedergemacht. Sogar aufgehängt. Es baumelt weinend und schreiend festgebunden auf der Schaukel.

Dem Regisseur wurde als Begründung für das Filmverbot „zionistische Propaganda“ vorgehalten. Neben der „Verleumdung der Revolution“. Dabei ist dies seit sehr langer Zeit der erste Film, in dem Juden überhaupt zu sehen sind, in dem jiddische Sätze gesprochen werden.

Die Kommissarin ist wild und voller gewaltiger Bilder; zuviele für den Zeitgeistgeschmack. Zu überhöht für Anspruchsvolle, zu folkoristisch für Ästheten.

Der liebe tanzende Vater, der weich die Hände der Kinder nimmt, ist vielleicht nur zu gut gemeintes Klischee - ich bezweifle es trotzdem: Wo haben wir die Vergleiche?

„Wir werden nie in unserer Stadt eine Straßenbahn bekommen“, sagt er zur Kommissarin, „weil wir alle weg sein werden“. Visionen vom Holocaust. Frauen und Kinder, die in ein Konzentrationslager getrieben werden. Er und seine Familie. Die Mutter, die Kinder, die Großmutter, oben auf der Balustrade stehen Männer in gestreiften KZ-Anzügen. Einer hält in seinen dünnen Fingern ein kleines graugestreiftes Kätzchen.

Der Film beginnt mit dem Lied. Eine weite Ebene, Felder, von denen man weiß, es sind Schlachtfelder. Am Ortsrand eine große Madonna aus Stein. Jemand hat ihr eine Kerze zwischen den gefalteten Händen angezündet. Man wartet eigentlich darauf, daß es eine Bombe ist, die mit lautem Knall explodiert. Ist keine Bombe. Truppen, die in ein scheinbar leeres Dorf reiten. Fenster und Türen sind vernagelt. Ein blondes Weib springt aus dem Sattel. Sie befiehlt. Eine Frau in Männeruniform. Während sie gemütlich im heißen Wasser sitzt - später weiß man, warum es so heiß sein sollte fangen ihre Männer einen ein, der abgehauen war. Einen Deserteur. Einen Verräter der Revolution. Einer, der sich verliebt hat und bei der Frau geblieben ist. Zitternd steht der Mann vor ihrem finsteren Gesicht, einen Krug kostbare Milch an sich drückend. Sie läßt ihn erschießen. Der Krug geht kaputt; das Bild bleibt zu lange bei der Milch am Boden, man wartet vergeblich, daß sich das Weiße mit dem Dunklen mischt.

Aber Klavdija Vavilova verändert sich bei der jüdischen Familie. Es ist nicht das Kind. In der Elendsbude sieht sie die Revolution aus einem ganz anderen Blickwinkel. Sie sitzt mit den anderen im Keller und fürchtet die Pogrome. Sie hat Angst vor den Weißen. „Die Internationale ist nicht gut, das ist ein Märchen“, sagt sie, „sie besteht aus dem Blut der Gestorbenen, aus Angst und Verzweiflung“.

Aleksandr Askodov: Die Kommissarin, nach Motiven der Erzählung „In der Stadt Berditschev“ von Vasilij Grossman, mit Nonna Mordjukova, Rolan Bykov. UdSSR 1967, fertiggestellt von Mosfilm 1988, 108 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen