■ Die Koalition bangt der Karlsruher Entscheidung entgegen: Ende des Maximalismus
Die Bundesregierung, sichtlich nervös – das hat etwas Beruhigendes. Denn gerade die von jeglicher Opposition unangefochtene Art, in der die Koalition darangehen konnte, die vierzigjährige Praxis einer defensiven Außen- und Sicherheitspolitik auf den Kopf zu stellen, erschien als bislang gravierendstes Indiz einer angeschlagenen Bonner Demokratie. Insofern darf das Unbehagen, mit dem die Regierung der Karlsruher Entscheidung über den Somalia-Einsatz entgegensieht, auch als Hinweis auf die sich rekonstruierende Bonner Machtbalance gewertet werden. Die Opposition, gerade basisdemokratisch aufgefrischt, mit neuem Vorsitzenden, scheint zumindest in der außenpolitisch richtungweisenden Frage künftiger Bundeswehr-Einsätze wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Kinkel und Rühe antichambrieren bei Klose, um ihm im letzten Moment ein Arrangement abzuringen – wann hat es derart sinnfällige Oppositionsmacht in den letzten Monaten schon mal gegeben?
In der Tat stehen die Erfolgsaussichten der SPD diesmal nicht schlecht, in Karlsruhe eine einstweilige Anordnung zu erwirken. Denn angesichts getöteter und tötender Blauhelme in Somalia dürfte das Gericht die Gefährdung deutscher Soldaten dort weit höher einschätzen als in den Awacs-Maschinen. Mit diesem Risiko aber wächst – angesichts einer möglichen Verfassungswidrigkeit des Einsatzes – der Druck auf die Richter, die Soldaten zurückzuholen.
Doch noch aus einem anderen Grund könnte die Entscheidung diesmal anders ausfallen. Die Richter könnten nämlich die unverhofft schnelle Chance nutzen, ihre Awacs-Entscheidung, genauer gesagt, die politischen Konsequenzen, die daraus gezogen wurden, richtigzustellen. Schließlich hat die Bundesregierung, insbesondere die Union, keinen Zweifel daran gelassen, daß sie den damaligen Richterspruch faktisch als Freibrief interpretierte, den man Schritt für Schritt auszufüllen gedachte. Die vorbehaltliche Entscheidung wurde in geradezu triumphalistischer Manier aufgenommen, interpretiert und – siehe Somalia – genutzt: Mit halber Zustimmung des Gerichtes sollten Fakten geschaffen werden, die am Ende wohl auch auf die verfassungsrechtliche Interpretation selbst – also auf die Unabhängigkeit der Richter in der Sachentscheidung – ausstrahlen würden.
Eine Kostprobe dieser Strategie wird es auch am kommenden Dienstag noch einmal geben: Das große Jammern und Händeringen, mit dem Rühe wie Kinkel versuchen werden, das Gericht unter Druck zu setzen, ist fest programmiert. Doch die bereits vorab beschworene Katastrophe für das internationale Ansehen der Republik wäre in erster Linie eine Blamage für die Bundesregierung. Ihr Ausmaß entspräche ziemlich genau der Unverschämtheit, mit der sie gegen alle Bedenken den Somalia-Einsatz durchsetzte. Doch gerade weil man sich bislang auf dem Weg in eine neue Außenpolitik so sicher wähnte, bedarf es jetzt eines spektakulären Signals, mit dem der Bundesregierung die Chance abgesprochen wird, die Frage der künftigen internationalen Rolle Deutschlands quasi im Handstreich zu entscheiden. Eine einstweilige Anordnung im Falle Somalia würde über ihren konkreten Gehalt – das Ende der Mission – hinaus besagen, daß über die künftige Außenpolitik und ihre Mittel nur nach breiter Debatte und im Konsens entschieden werden kann. Karlsruhe könnte eine Zäsur setzen. Danach schlüge erneut die Stunde der Politik. Mit dem Maximalismus der Union freilich hätte es dann ein Ende. Wenn die jüngsten Signale nicht täuschen, scheint sich die Bundesregierung bereits darauf einzustellen. Matthias Geis
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