Die Knigge-Frage: Bis der Stuhl nach hinten fällt
Mit dem Stuhl zu kippeln ist immer noch geächtet. Dabei fördert das Kippeln das Arbeitsklima und die Körperbeherrschung des Büromenschen.
Dürfen Erwachsene kippeln?
Nein, dürfen sie nicht. Kinder sollen ihre Suppe essen und nicht mit dem Stuhl schaukeln. Erwachsene sollen die Suppen, die sie sich eingebrockt haben, auslöffeln. Und auch nicht auf Stühlen kippeln.
Die Frage ist also beantwortet.
– Und jetzt?
– Jetzt was?
Ab hier wird das eine Ichgeschichte. Denn seit ich Kind war, meine Suppe nicht aß, aber mit dem Stuhl kippelte, ist mir es geblieben. Ein halbes Jahrhundert lang. Bis heute schaukle ich auf jedem Stuhl.
– Stopp, das will keiner lesen.
– Warum nicht?
– Ist langweilig. Da passiert nichts. Biste mal umgekippt?
– Nein, noch nie.
– Wie kippelst du denn dann?
– So, dass ich nicht umkippe. Es geht um Körperbeherrschung, es geht darum zu schaukeln, ohne umzufallen. Ich setze mich auf den Stuhl, verlagere mein Gewicht auf die vorderen Stuhlbeine und auf denen bewege ich mich hin und her.
– Du kippelst auf den vorderen Stuhlbeinen? So kannst du gar nicht wie Suppenkaspar umfallen und das Tischtuch mitziehen. Du kippst nach vorne und der Tisch stützt dich ab.
Natürlich kipple ich auch auf den hinteren Stuhlbeinen. In Konferenzen etwa. Dann stütze ich meine Knie an der Tischkante ab und verlagere mein Gewicht auf die hinteren Stuhlbeine. Das fordert Körperbeherrschung und Konzentration. Ich mache das, damit ich meinen KollegInnen nur hin und wieder widerspreche und nicht ständig. In dem Moment, in dem ich widerspreche, höre ich auf zu schaukeln. Sobald ich widersprochen habe, beginne ich wieder damit.
– In deinem Alter!
– Es tut meinem Rücken gut.
– Sonst noch was?
– Ja. In Restaurants ist Kippeln riskant. Wenn Bedienungen über die abstehenden hinteren Stuhlbeine stolpern. Ich weiß das, weil einmal, ein Mal …
Sie haben auch eine Benimm-Frage? Mailen Sie an knigge@taz.de
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