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■ Die Karlsruher Richter und die eine Richterin signalisieren: Abtreibung ist weiterhin kein Recht, sondern eine GnadeEin scheinheiliges Urteil

Das Bundesverfassungsgericht hat lange gezögert mit dem Urteil, vermutlich, weil eine Mehrheit eigentlich noch härter entscheiden und die ganze Reform kippen wollte. Was jetzt herausgekommen ist, ist ein scheinheiliges Urteil: ein halber Sieg und eine halbe Niederlage zugleich. Der halbe Sieg ist ausschließlich dem Druck von Frauen in den letzten Monaten zu verdanken; und nicht zuletzt auch der feministischen Kritik an der Parteilichkeit mancher Verfassungsrichter (wie SPD-Richter Böckenförde, der ein aktiver sogenannter „Lebensschützer“ ist).

Das Entscheidende am jetzigen Verfassungsurteil ist: Abtreibung ist kein Recht, sondern eine Gnade. Frauen dürfen abtreiben, aber sie müssen ein schlechtes Gewissen haben und schön bittebitte machen. Und: zur Strafe müssen sie auch noch selbst zahlen, was vor allem die Frauen ohne eigenes Geld treffen wird, also junge Frauen und Hausfrauen. Der Karlsruher Spruch ist eine Verbesserung der westlichen Indikationslösung von 1975 und eine Verschlechterung der östlichen Fristenlösung von 1972.

Die Verschlechterung für den Osten: Ungewollt Schwangere müssen sich für einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen in Zukunft eine formale Erlaubnis holen (diese Zwangsberatung kann allerdings auch anonym stattfinden). Und sie müssen den Abbruch selbst bezahlen (was die noch arbeitsloseren und noch unterbezahlteren Frauen im Osten noch härter treffen wird).

Die Verbesserung für den Westen: Bei der sogenannten Indikationsregelung lag es nicht in der Hand der Schwangeren, sondern in der Hand der Beratenden, ob die Abtreibung gemacht werden durfte oder nicht. Je nach Bundesland und Beratungsstelle wurde der ungewollt Schwangeren bisher die Gnade gewährt oder auch verwehrt. Jetzt wird noch beraten, aber nicht mehr entschieden. Die Frau kann, nach erfolgter Beratung, selbst bestimmen, ob sie Mutter werden will oder nicht. Das ist ein Fortschritt, wenn auch nur ein relativer.

Sehr aufschlußreich ist, daß bei diesem Urteil genau das, worauf es den Freunden und Freundinnen des §218 in all den Jahren ankam, erhalten bleibt: nämlich die Entmündigung und Bevormundung von Frauen. Denn genau darum geht es ja seit 122 Jahren, in denen Frauen in Deutschland unter allen Umständen (sogar bei drohender Todesstrafe im Nazireich) abgetrieben haben.

Der Streit um den §218 ging in Wahrheit noch nie darum, ob abgetrieben wird, sondern immer nur darum, wie abgetrieben wird. Tun wir es – wie nicht nur wir Feministinnen fordern — selbstbestimmt, in Würde und mit maximalem medizinischem Beistand? Oder tun wir es bevormundet, gedemütigt und mit widerwilligen oder gar sich verweigernden Ärzten?

Das Weib soll nicht nur in Schmerzen gebären, es soll auch in Demut und mit schlechtem Gewissen abtreiben – das ist die Moral von der Geschicht. Sie wollen uns Frauen auch noch an der Schwelle des 21. Jahrhunderts eine selbstbestimmte Mutterschaft verbieten.

De jure werden wir nun erst einmal mit diesem Urteil leben müssen – so ist das in einer Demokratie, in der die Männer (und ihre Gehilfinnen) das Sagen haben; hoffentlich kann wenigstens das Zwei-Klassen- Recht der Kosten angefochten werden. Doch den symbolischen Gehalt dieses hohen Richterspruches – Gnade statt Recht – den müssen wir nicht hinnehmen.

Wir Frauen (und die solidarischen Männer) müssen in aller Entschiedenheit klarmachen, daß es bei der ungewollten Schwangerschaft weniger um das sogenannte „werdende Leben“ und schon gar nicht um ein „Kind“ geht, sondern um die Menschenwürde von Frauen.

Real dürfen wir jetzt abtreiben, symbolisch werden wir weiter dafür verurteilt. Aber die Symbolik ist sehr ernst zu nehmen. Die Symbolik spielt in der Politik eine zunehmende Rolle und wiegt manchmal schwerer als die Realität. Auch in diesem Fall könnte sie uns das Leben schwer machen (bis hin zur Verhetzung und Verweigerung der Ärzte, die doch durch ihren hippokratischen Eid eigentlich zum Beistand verpflichtet sind).

Genau da müssen wir gegenhalten: Nicht bittend und erklärend, sondern selbstbewußt und fordernd! Schließlich ist Deutschland kein Gottesstaat, sondern eine Demokratie. Und Abtreibung ist keine Gnade, sondern unser Recht. Alice Schwarzer

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