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■ Die Karlsruher Richter prüfen Anträge von AsylsuchendenOhrfeige für den Asylkompromiß

Daß es so kommen würde, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Wo mittlerweile jedes politische Problem bei der Schattenregierung in Karlsruhe abgeladen wird, da sollte ausgerechnet der zäheste Dauerbrenner des deutschen Parteienstreits, der Asylkompromiß, nicht bei den höchsten (Schieds)Richtern der Nation landen? Gerade mal vier Wochen hat es denn auch gedauert, und die Karlsruher Juristen hatten den in Bonn angerichteten Schlamassel auf dem Tisch. Dabei waren sich doch dieses Mal die Parteien so einig gewesen – allen juristischen Warnungen zum Trotz. CDU und SPD hielten sich kräftig bei der Hand und hypnotisierten die eigenen Bauchschmerzen mit dem Schwur: Augen zu und durch.

Das Bundesverfassungsgericht wird ihnen die Augen wieder öffnen. Einige Richter haben jetzt über die ersten Eilanträge von Asylsuchenden entschieden, die nach dem neuen Recht abgelehnt worden waren. Zwar ging es jedesmal um Einzelfälle, doch tatsächlich stand ein wichtiger Bestandteil des „Asylkompromisses“ auf dem Prüfstand und ist mit Pauken und Trompeten durchgefallen.

Wie bitte? Haben die Richter nicht unterschiedlich geurteilt? Einigen Anträgen gaben sie statt, andere lehnten sie ab. So what? Wenn schon, dann doch wenigstens: unentschieden für den Asylkompromiß. Aber so leicht macht es das Bundesverfassungsgericht der unheiligen Asylallianz nicht. Das scheinbare Unentschieden ist gleich in doppelter Hinsicht ein 0:1 – Es wäre allein für sich schon fragwürdig, eine gravierende Verfassungsänderung in die Praxis umzusetzen, wenn deren Rechtmäßigkeit innerhalb der verschiedenen Senate des höchsten Gerichts unterschiedlich beurteilt wird. Aber die Karlsruher Richter sagen ja noch mehr. In einem Punkt nämlich sind sich alle bisher ergangenen Entscheidungen zum „Asylkompromiß“ einig: Sie schreiben das Recht des Flüchtlings auf individuelle Prüfung fest. Im Fall eines Ghanaers führte diese Prüfung zur Ablehnung seines Antrages. Der Mann hatte keinerlei persönliche politische Verfolgung glaubhaft gemacht, sondern nur allgemein auf die Lage in Ghana verwiesen. Nur wenige Tage später jedoch bekamen zwei seiner Landsleute recht. Sie hatten den Karlsruher Richtern ihre persönliche Bedrohung darstellen können.

Genau diese Unterschiedlichkeit der höchstrichterlichen Entscheidungen macht ihre Brisanz aus. Denn sie ist eine deutliche Ohrfeige für das von Bonn verkündete Dogma der verfolgungsfreien Herkunftsländer. Die Verfassungsrichter, so zeigen die ersten Fälle, akzeptieren diese pauschale Einordnung in sichere und unsichere Länder nicht. Karlsruhe holt Bonn damit wieder ein Stück auf den Boden des guten alten Grundgesetzes zurück. Vera Gaserow

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