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■ Die Kampagne gegen das Asylrecht hat die Gesellschaft verändert, weil sie weit verbreitete Vorurteile bedientGuter Flüchtling, schlechter Flüchtling

Wir Deutschen lieben unseren Regierungsbezirk Bundesrepublik wie unseren Schrebergarten. In ihm finden wir unser angesammeltes Hab und Gut: breite Autobahnen, Gartenspringbrunnen, das Müttergenesungswerk und heitere Aktienkurse. Dazwischen glücklich tanzende Angestellte in Calvin-Klein-Unterhosen und im Boss-Duftsprühregen, die ihren Feierabend zwischen multikulturellem Mozarella und Videorecordern verbringen. Es ist einfach schön in Deutschland. Da braucht der Patriotismus Sicherungsanlagen zur Verteidigung der Eigentumsräume: Drittstaatenregelung und Observationskameras, Grenzschützer und brave Spürhunde, die in Zeiten höchster Gefahr auch schon mal beißen. Auf daß sich auch der letzte politische Flüchtling durch seine Blöße als armseliger Wirtschaftsflüchtling zu erkennen geben muß.

Stern-Reporter reisen für diesen medialen Zwangsstriptease sogar schon mal bis in den klimatisch ungesunden Sudan, denn merke: Je schlimmer das Terrorregime, desto prägender das soziale Elend. Ungeachtet medizinisch nachgewiesener Folterspuren weiß der Angestellte der Stern-Kolonie: Wer aus derart mageren Umständen die Dritte Welt verläßt, um uns hier in Deutschland durch einen maßlosen Essenverweigerungsstreik im Frankfurter Flughafen die fetten Speckschwarten abzuhungern, der kann nur ein Wirtschafts- und damit ein schlechter Flüchtling sein. Die guten, also die an politische Verfolgung gewöhnten Flüchtlinge würden unseren Sozialstaat nicht derart dreist mit der Spekulation auf eine Zwangsernährung belasten. Wer wirklich gefoltert wurde, dem ist schließlich der Appetit vergangen.

Doch so schnell kommen uns schon lange keine Fremden mehr ins Haus, schließlich haben wir Deutsche mehr zu verlieren als der Rest der Welt. Und ohne härtere Maßnahmen ließen sich die Flüchtlingsströme eben nicht in die nichtdeutsche Fluchtalternative umleiten. Tut uns leid, aber wo gehobelt wird, fallen auch Späne, selbst wenn es das ganze Asylrecht ist. Wir haben uns daran gewöhnt, warum nicht auch die Flüchtlinge?

Die tapferen Reporter des Stern und die ausländischen Geheimdienste kommen uns da gerade recht in unserer Sehnsucht nach Entlastung. Die Spürhunde des großen bunten Wochenmagazins wagen sich heldenhaft in die sudanesische „Hölle“ (Stern), in ein „Land wie eine Ruine, ein weltweites Symbol für Elend, Grauen und menschlichen Wahnsinn“. Dort beobachten sie nicht die Schlägertrupps der sudanesischen Polizei bei ihren Spezialeinsätzen gegen Demonstranten, dort sprechen sie nicht mit den Eltern erschossener Jugendlicher, dort recherchieren sie nicht die Umstände des Verschwindens so vieler Menschen, nein, sie versuchen nicht einmal nachzuvollziehen, wie es sich lebt mit politischem Terror und sozialem Elend. Sie verfolgen die Opfer, die sich dummerweise nicht rechtzeitig zur Ankunft der Stern-Reporter foltern oder gar umbringen lassen. In Blitzlicht-Momentaufnahmen verewigen sie vier abgeschobene Sudanesen als „Wirtschaftsflüchtlinge“, die dank der Zusammenarbeit zwischen deutschen und sudanesischen Sicherheitskräften „wohlbehalten“ bei ihren Familien angekommen sind.

Sie stoßen damit in Deutschland auf breite Resonanz, ein Gefühl, das der Stern seit den „Hitler- Tagebüchern“ so schmerzlich vermißt und deshalb immer wieder einzuholen sucht. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen verzichtet verschreckt auf die angesetzte Aktuelle Stunde zur Abschiebung der Sudanesen, Sabine Christiansen verkündet in den „Tagesthemen“, daß mindestens vier von ihnen wohl doch „nur“ Wirtschaftsflüchtlinge gewesen seien, und der fesche Herr Kanther genießt seinen Medienauftritt. Im Land von Daimler-Benz und Flick, in dem die Wunder seit der schmerzlichen Niederlage von 1945 nur als Wirtschaftswunder vorkommen, sind wir allezeit schnell bereit, den Verteidigern unserer umkämpften Scholle in den Krieg gegen die Armen zu folgen. Und wie in jedem Krieg sind wir dankbar für die propagandistische Aufteilung der Welt in Gut und Böse. So werden wir gehirngewaschene Objekte der Propaganda: Politisch Verfolgte sind zwar ebenfalls lästig und hätten sich besser ihren jeweiligen Regimen anpassen sollen, aber sie haben für ihren Aufenthalt in unserem Schrebergarten wenigstens einen gewissen sportlichen Einsatz in den Folterstudios der Welt gezeigt. Wirtschaftsflüchtlinge dagegen wollen uns unseren Schrebergarten einfach nur wegnehmen.

Die Reaktionen auf den Stern- Artikel zeigen, wie tief solche Unterscheidungen schon im hiesigen Bewußtsein verankert sind, wie sehr die infame Kampagne gegen das Asylrecht tatsächlich die oppositionelle Spitze abgebrochen hat. Ein öffentlicher Einsatz für „Wirtschaftsflüchtlinge“ schien den Bündnisgrünen wohl intuitiv nicht als überzeugender Beleg für ihr gieriges Ankommen in der sogenannten politischen Mitte. Und auch die nachgeschobene Entschuldigung, daß man die „negative Symbolwirkung“ der Absage unterschätzt habe, stimmt nicht hoffnungsfroher für den notwendigen Kampf um eine Wiederherstellung des Asylrechtes. Denn hier geht es nicht um politische Benimm-Regeln, sondern um den politischen Mut, sich der auch innerhalb der Grünen-Klientel verbreiteten rassistischen Schrebergartenverteidigungsmentalität und Entlastungssehnsucht entgegenzustellen. Vor lauter Widerwillen kann man da sogar jeden Sinn für Ironie verlieren und sich in einer Mischung aus Verzweiflung und Resignation gezwungen fühlen, nun auch den Bündnisgrünen das Abc erklären zu müssen: A sind Wirtschaftsflüchtlinge immer politische Flüchtlinge, weil wir politisch verantwortlich sind für die vielfältigen Formen des sozialen Elends. Es gibt immer einen Zusammenhang zwischen politischem Terror und sozialer Ungerechtigkeit. B ist es absurd, Auskünfte von Terrorregimen und ihren Geheimpolizeien zur Grundlage für Asylentscheidungen zu machen. Und C hat jeder Flüchtling der Welt ein Anrecht auf uneingeschränkte Verteidigung gegen die psychischen Mißhandlungen, die die sieben Sudanesen auf dem Frankfurter Flughafen erleiden mußten.

Die Deklination dieses politischen Abc wäre eine unabdingbare Notwendigkeit in der gestrichenen Aktuellen Stunde gewesen. Mit dem Verzicht auf diese Übung hat die politische Kultur in diesem Land größeren Schaden genommen, als mit einer Entschuldigung für die „negative Symbolwirkung“ der Absage wiedergutzumachen wäre. Gabi Gillen

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