: Die Käfige von Guantánamo Bay
Eine Debatte zu USA und Völkerrecht an der Berliner Akademie der Künste brachte nur wenig Differenzen zutage
Kein Offizieller aus den USA ließ sich blicken, als die Berliner Anwaltskammer plus Strafverteidiger-Vereinigung am Dienstag in der Akademie der Künste zum Thema „Guantánamo“ einluden. Auch der Politologe David Kramer, der schließlich die USA-Seite vertrat, stimmte in den Chor der Kritiker ein, sodass das gesamte Podium, auf dem noch die beiden Juristen Nicolas Becker und Ulrich K. Preuß sowie der Dramaturg Ivan Nagel saßen, sich im Grundsatz einig war.
Dennoch traten Differenzen zutage. Preuß gab eine juristische Einführung, die um die in den USA strittige Frage kreiste, ob ein amerikanisches Gericht überhaupt für die in Guantánamo Internierten zuständig ist. Gelten die Internierten als mögliche Kriegsverbrecher oder als Kriegsgefangene? In beiden Fällen stünden ihnen international garantierte Rechte zu.
Das Dilemma der USA besteht nach Preuß nun gerade darin, dass dieser Status unklar und dass offen ist, wann der von Bush deklarierte „Krieg gegen den internationalen Terrorismus“ sein Ende finden wird. Preuß sieht hier eine gefährliche Tendenz zu diktatorischen Vollmachten des US-Präsidenten. Andererseits sieht er die Notwendigkeit, das Völkerrecht abzuändern, damit es der veränderten Sachlage – also den Anschlägen international operierender Terror-Netzwerke – Rechnung trägt.
Auch Ivan Nagel nahm Bushs Doktrin vom anhaltenden Anti-Terror-Krieg zum Ausgangspunkt. Er legte dar, wie sich als Folge dieser Doktrin die Maschen des Kriegsvölkerrechts auflösen. Anders als Preuß untersuchte er die weltweiten politischen Folgen der Bush-Doktrin. Als Supermacht hätten die USA so oder so Vorbildfunktion. Operierten sie international in einem rechtsfreien Raum, bauten sie in den USA selbst weiterhin Freiheitsrechte ab, so hat das weltweit endemische Wirkungen, wie nicht zuletzt die Praxis der deutschen Bundesregierung seit dem 11. September beweise.
Diesem düsteren Szenario stimmte überraschend David Kramer zu. Er machte allerdings geltend, dass sich die Bush-Kritiker in Deutschland die Sache insofern sehr leicht machten, als sie die reale terroristische Gefahr für die USA und das Sicherheits-Trauma, das die Anschläge vom 11. 9. ausgelöst hatten, völlig unterschätzten und damit ein falsches Bild von den Reaktionen der US-Bevölkerung erhielten.
Sind die USA auf der abschüssigen Bahn in Richtung eines „demokratischen“ Totalitarismus, oder sind die Widerstandskräfte so stark, dass Bushs Präsidentschaft eine Episode bleibt? Diese Frage wurde vor allem aus dem Publikum heraus aufgeworfen. Der Anwalt Nicolas Becker, auf dem Podium der schärfste Kritiker der Guantánamo-Käfighaltung, zeigte sich optimistisch: Die tief verwurzelte demokratische Rechtstradition in den USA werde obsiegen.
CHRISTIAN SEMLER