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Archiv-Artikel

Die Jogger mit dem Kompass

Ein Regensonntag ist durchaus erwünscht. Dann sind die Orientierungsläufer im Wald für sich allein – und sicher vor Spaziergängern und Hunden

„Die spinnen doch! Bei dem Wetter überhaupt vor die Tür zu gehen, ist doch verrückt.“ Drei äußerst gelangweit dreinschauende Jugendliche räkeln sich auf den Stühlen des Jugendclubs „Arena“ in der Wuhlheide. Für sie ist es wahrscheinlich schon eine Leistung gewesen, am Sonntag um zehn Uhr im Freizeitheim zum Dienst zu erscheinen. Vor der Tür des Clubs aber, der auf dem Stadiongelände im Freizeit- und Erholungszentrum untergebracht ist, spielt sich etwas für sie Unglaubliches ab: Bunt gekleidete Sportler in beinahe allen Altersklassen bereiten sich im strömenden Regen auf den Start der berlin-brandenburgischen Staffelmeisterschaft im Orientierungslauf vor. Sie befestigen die Startnummer am Trikot, stecken sich einen Kompass an den Daumen und kontrollieren die Funktionstüchtigkeit ihres Kontrollchips. Kurz nach dem Start bekommen sie ein Blatt Papier in die Hand gedrückt. Jetzt erst geht der Wettbewerb richtig los. Die Läufer orientieren sich.

In den topographischen Karten sind Kontrollpunkte eingezeichnet, die von den Läufern angesteuert werden müssen. Dies geschieht am besten auf dem kürzesten Weg, und so laufen die bunten Orientierungssportler mitten durch den Wald. Schon bald sind die meisten nicht mehr zu sehen. Nach einer Weile taucht einer hinter einem Baum auf, von einem anderen sieht man nur den Kopf, der sich über das Unterholz erhebt. Wer den Kontrollposten, der durch eine rot-weißes Fähnchen markiert ist, erblickt hat, läuft hin und hält seinen Kontrollchip an das Lesegerät. Nach dem Wettkampf werden die Lesegeräte ausgewertet. Nur wer an allen Kontrollpunkten war, kommt in die Wertung. Staffeltrainer Bernd Wollenberg, seit 1962 aktiv, erläutert, worauf es ankommt. „Das Wort Orientierungslauf hat 17 Buchstaben, nur vier davon bezeichnen das Laufen.“

Auf der Strecke lässt sich gut erkennen, was gemeint ist. Der 62-jährige Peter Wichmann, der jahrelang in der DDR-Nationalmannschaft gelaufen ist, kann noch gut mithalten, weil er sich äußerst schnell im Gelände zurechtfindet. Ein kurzer Blick auf die Karte, ein zweiter, ein ebenso kurzer auf den Kompass, dann steuert er direkt auf den nächsten Kontrollposten zu. Ein jüngerer Läufer geht an der selben Stelle auf Nummer Sicher und orientiert sich lieber an den Waldwegen. Obwohl er schneller läuft, ist er am Ende länger unterwegs als der Senior.

Ein anderer ehemaliger Kaderläufer ist an diesem Tag nicht am Start. Gerhard Brettschneider vom veranstaltenden OLV Kaulsdorf ist heute Rennleiter. Er hat die Strecke abgesteckt, die Karten vorbereitet und die Genehmigung für die Veranstaltung eingeholt. Letzteres war am schwierigsten. Orientierungsläufer gelten als Umweltfrevler, die alles niedertrampeln, was ihnen in den Weg kommt. Genehmigungen sind nur schwer zu bekommen. Wer jedoch das Renngeschehen im Wald verfolgt, kann die restriktive Haltung nicht nachvollziehen. Die Läufer machen große Bogen um Gestrüpp und Unterholz.

Über das Wetter hat übrigens kein Teilnehmer gemeckert. Bei Wettbewerben in parkähnlichen Anlagen ist Dauerregen nicht einmal unerwünscht. Denn allzu viele Spaziergänger behindern das Fortkommen. Vor allem vor Hunden hat man Respekt, und von denen sind gestern nicht allzu viele vor die Tür gejagt worden. ANDREAS RÜTTENAUER