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Archiv-Artikel

Die Jagd des Häuptlingssohns

Im Halbfinale der French Open kommt es heute zu dem Duell, von dem schon gesprochen wurde, bevor in Paris der erste Ball gespielt war. Rafael Nadal, der beste Tennisspieler des Frühjahrs, trifft auf Roger Federer, die Nummer eins der Weltrangliste

AUS PARIS DORIS HENKEL

Er ist die Nummer eins, der Beste, Meister aller Schläge, wird bewundert und bestaunt. Jener Mann, über den sein Coach Tony Roche, 60, sagt: „Er hat diesen Sport neu definiert.“ Er ist die Nummer fünf, der Beste dieses Frühjahrs und der Beste auf Sand, hungrig und stark. Jener junge Mann, über den der frühere French-Open-Sieger Albert Costa sagt: „Er ist aus einer anderen Welt.“

Als Roger Federer so alt war, wie es Rafael Nadal jetzt ist – 19 seit heute – galt er längst als große Hoffnung des Tennis, aber es fehlten noch Steine für das Mosaik. Konstanz, Beharrlichkeit, Selbstbeherrschung. Auf dem Platz habe er sich manchmal in eine zweite Persönlichkeit verwandelt, hat er kürzlich erzählt; in einem Moment sei er total ruhig gewesen, dann sei er vollkommen durchgedreht. Schläger schmeißen, jammern, verlieren – das ganze Programm. Erst als er zwei Jahre zur Ruhe zwang, spielte er stabiler. Und erst mit dem Titel in Wimbledon 2003 fielen die Zweifel von ihm ab. Es war der Moment, in dem er endlich glauben konnte, was immer schon alle gesagt hatten: Du kannst der Beste sein; keiner spielt so wie du.

Sieht nicht so aus, als wüsste Rafael Nadal, was Zweifel sind. Der hat nichts von Federers schwereloser Eleganz, aber er steckt voller ungebremster Energie, voller Glauben an die eigene Stärke, voller Kraft und Willen. Erinnert er nicht mit seinem wilden Blick und den wehenden schwarzen Haaren unterm Stirnband an einen indianischen Krieger? An einen Häuptlingssohn, der auf dem Rücken seines Rappen im gestreckten Galopp die Jagd aufnimmt? Er würde sich vermutlich kaputt lachen über diesen Vergleich. Aber die Familie Nadal ist tatsächlich fast so etwas wie ein Stamm. Als Rafa mit 11 die ersten Turniere gewann, schlug der spanische Verband vor, in eines der Tenniszentren aufs Festland zu wechseln, aber die Familie meinte, daheim in Manacor auf Mallorca habe er alles, was er brauche.

Onkel Toni gab seinen Job als Tennistrainer im Club auf und kümmerte sich ausschließlich um Rafael, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Und noch immer wohnen sie in Manacor, alle unter einem Dach: unten die Großeltern, im ersten Stock Onkel Toni mit Frau und drei Töchtern, im zweiten Rafaels Eltern, er selbst ganz oben, gemeinsam mit der 14 Jahre alten Schwester Maria Isabel. Die Gene des Stamms sind offensichtlich gut für den Sport. Rafaels zweiter Onkel, Miguel Angel, hat lange Jahre erfolgreich im defensiven Mittelfeld beim FC Barcelona Fußball gespielt, und seinetwegen ist der Name Nadal auf Mallorca schon lange ein Begriff. Rafael konnte schon immer rennen wie ein Hase, und sie sagen, gute Muskeln habe er auch schon immer gehabt; „Bi-Turbo“ haben sie ihn früher genannt.

Manchmal erinnert er an ein Kind, ist brummig, etwas schüchtern, dann wieder nett und verspielt. Aber es nervt ihn, dass die Leute immer öfter an ihm zerren. Was er selbst im Sinn hat, ist klar: „Gewinnen zu wollen ist ganz natürlich für mich.“

Genauso sieht es auch aus. Wenn er Tennis spielt, wirkt alles an ihm, jede Geste, jeder Blick, so selbstverständlich und direkt, dass einem als Vergleich nur der junge Boris Becker einfällt. Aber im Gegensatz zu Becker und den Seinen spricht vieles dafür, dass die Nadals auf mögliche Erdbewegungen vorbereitet sind. Toni, der Trainer-Onkel, sagt: „Wir Mallorquiner reden immer über alles und nichts. Aber was uns auch passiert, es kommt uns normal vor.“ Deshalb ist es für den Neffen überhaupt kein Thema, an einen Sieg am Freitag gegen Federer zu glauben. Einmal hat er das ja schon geschafft – beim Mastersturnier in Miami 2004. In diesem Jahr gewann Federer an gleicher Stelle in fünf Sätzen, und der versichert allen mit leicht kühlem Unterton: „Ich weiß, wie ich gegen ihn spielen muss.“

Vom ersten Tag des Turniers an hat Federer die Fragen nach der Begegnung mit Nadal mit Form und Stil, wie es seine Art ist, beantwortet. Doch dass es nun an der Zeit für eine konkrete Antwort ist, sieht man ihm an. Er sei schließlich die Nummer eins, sagt er, wieso solle er irgendwen fürchten? Respekt, das ja, aber fürchten?

Wer weiß, mit welchem Stolz der Schweizer über sich und seine führende, tragende, schwebende Rolle in diesem Sport spricht, der kann ahnen, was dieses Halbfinale im Stade Roland Garros auch für ihn bedeutet. Die alte Floskel, dass es ein Spiel wie jedes andere sei, hat diesmal keiner bemüht.