Die Irrtümer beim Fußball: Ein Sport für Ahnungslose

Endlich wissen wir, dass wir über Fußball nichts wissen. Ein Statistiker analysiert uns dumm.

Der Sportwissenschaftler Roland Roy hat 25.000 Tore analysiert. Bild: dpa

Kein Wunder! Ist doch klar, dass der danebengeht, wenn er selber schießt. Nicht mal die Außen sind besetzt! Ja, dann muss ich halt auch mal einen Zweikampf gewinnen. Und der Schiri, die faule Sau, steht wieder mal viel zu weit weg. Heiser gehen die Fans nach einem Spiel nach Hause. Fußball ist ein einfaches Spiel, das glauben nicht nur sie. Wenn ihr Team verloren hat, dann meinen die Fans ganz genau zu wissen, woran es liegt. Doch sie haben keine Ahnung. Denn niemand weiß so recht, warum eine Mannschaft ein Spiel gewinnt.

Das hat Roland Loy herausgefunden. Der ist Sportwissenschaftler, hat über 3.000 Fußballspiele ausgewertet, dabei 60.000 Ballkontakte, 250.000 Zweikämpfe, 1.000 Einwürfe, 30.000 Torschüsse, 25.000 Tore analysiert. Zusammengetragen hat er sein Wissen im "Lexikon der Fußballirrtümer". Es ist eine Abrechnung mit beinahe allen Unwahrheiten, die rund um das Fußballspiel als Binsenweisheiten verkauft werden. Beruhigend für die Fans: nicht nur sie haben keine Ahnung. Auch Trainer, Spieler, Präsidenten, sie alle verbreiten hauptsächlich Unsinn, wenn sie sich auf Ursachensuche für Erfolg oder Misserfolg begeben. Für Loy ist Fußball ein überaus "komplexes Gebilde", das sich mit dem Wissen, das wir bis dato über den Sport haben, nicht erklären lasse. Beinahe dämlich kommen da die Vertreter der neuen deutschen Trainerschule (Joachim Löw, Jürgen Klinsmann, Ralf Rangnick) daher, die immer wieder den Eindruck vermitteln, der Erfolg sei planbar. Um das zu widerlegen, braucht Loy nicht einmal seine Datenbanken abzufragen, die er einst für den privaten Sportschau-Ersatz "Ran" aufgebaut hat. Wenn jeder den Erfolg auf gleiche Weise plane, so Loy, dann müsse ja jeder den gleichen Erfolg haben. Kann ja gar nicht so sein.

Darauf wären die Fans vielleicht noch alleine gekommen. Andere Irrtümer deckt er mit sicherem Griff in die Datenkiste auf. Haben gefoulte Spieler selbst den fälligen Strafstoß ausgeführt, ist ebenso oft ein Tor gefallen wie beim Schuss irgendeines Mitspielers. 75 Prozent aller Elfmeter werden verwandelt, egal wer schießt. Das Spiel über die Flügel garantiert keineswegs den Erfolg. Hört, hört: Das in Verruf geratene Spiel durch die Mitte führt ebenso oft zum Torerfolg. Auch die oftmals gepriesenen Doppelpässe sind alles andere als ein sicheres Erfolgsrezept. Des Bundestrainers Patentmittel, das schnelle Spiel nach vorne, es taugt nicht allzu viel. Loy hat sich 10.000 Angriffe aus internationalen Begegnungen und denen der Bundesliga angesehen. Sein Ergebnis: Nur ein Prozent aller Angriffe über weniger als vier Stationen führen zum Torerfolg. Dagegen fällt nach sieben Prozent aller Angriffe, die über mindestens 13 Stationen laufen, ein Tor. Beinahe weise wirkt das, was Ede Geyer, der einmal Cottbus in die erste Liga geführt hat, da einst festgestellt hat: "Wir haben zu wenig Spiel ins Tempo gebracht." Ansonsten: Lauter Blöde. Loy zitiert genüsslich die Tempoapologeten und zertrümmert ihre Aussagen mit seinen Zahlen.

Den populär aufbereiteten Daten aus der Sportwissenschaft werden unzählige Zitate von Trainern und Spielern entgegengesetzt. Und eben weil deren Fußballwissen sich als wenig Pisa-reif erweist, verzweifelt der Fan bei der Lektüre nicht. Fußball ist ein Sport von Ahnungslosen für Ahnungslose. Der Fan befindet sich mit seinem Unwissen auf Augenhöhe mit den Machern das großen Fußballs. Und die Lehre aus dem Lexikon: Niemand kann für nichts was. Erfolg im Fußball wird nicht gemacht, er passiert.

Roland Loy: "Das Lexikon der Fußballirrtümer". C. Bertelsmann, München. 16,- €

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