Die Indigenas in Ecuador: Das Konzept vom guten Leben
In Ecuador hat Präsident Correa mit der neuen Verfassung den ersten Schritt zu einer gerechteren Gesellschaft geschafft. Doch jetzt wollen die Indígenas das System weiter umbauen.
Mit einem Pilotprojekt für das Post-Erdöl-Zeitalter möchte Ecuador zeigen, wie die ökosoziale Wende aussehen könnte. In einem großen Gebiet des Amazonas-Nationalparks Yasuní soll auf die Erdölförderung verzichtet werden - wenn die internationale Gemeinschaft im Gegenzug für die Hälfte der erwarteten Einnahmen aufkommt. Die 350 Millionen Dollar jährlich wären eine gute Investition in den Klimaschutz und die Bewahrung der Artenvielfalt, sagen die Ecuadorianer.
Die Idee stammt von den Umweltgruppen Acción Ecológica und Oilwatch, als Energieminister setzte sie Alberto Acosta 2007 in der Regierung durch. Präsident Correa stellte den Vorschlag in der UNO und auf einer Konferenz der Erdölförderländer Opec vor. Ein Sonderbotschafter wirbt weltweit dafür, Umsetzungsstudien sind in Auftrag gegeben. Auch der deutsche Bundestag begrüßte das Projekt einhellig.
Oilwatch-Aktivist Piet Boedt ist froh, dass das Modell des Emissionshandels mittlerweile vom Tisch ist: "Damit handelt es sich tatsächlich um eine neue Vision, eine Alternative zu Modellen, die sich nicht von der Markt- und Wachstumslogik freimachen können." Die Ausarbeitung ging lange schleppend voran, noch zäher fließen die Spenden. Im Januar will die Regierung entscheiden, ob sie das Urwaldgebiet nicht doch für die Ölförderung freigibt. GD
Nein, leicht ist das Leben nicht für Ricardo Ante. Der 58-jährige Kleinbauer wohnt zusammen mit seiner Frau in 3.700 Metern Höhe auf Ecuadors Andenkordillere in einem Weiler unweit des Dorfes Zumbahua. Ihre vier verheirateten Kinder sind weit weg, Gesellschaft leistet den beiden ein vierjähriger Enkel. Mit Filzhut und Poncho steht der alte Mann vor seinem einfachen Steinhaus und blickt über eine malerische Kulisse aus Felsrücken, Hügel in verschiedenen Grüntönen. Unten, eine halbe Stunde Fußweg entfernt, liegt Zumbahua. Wegen des bunten Samstagsmarktes zieht es viele Touristen hierher.
Für Ante ist das ein schwacher Trost. "Unsere jungen Leute hält es nicht mehr hier, die gehen nach Quito oder nach Europa", sagt er. Die Erträge seiner Kartoffel- und Bohnenfelder reichen kaum zum Überleben. Gut, dass seine Frau wenigstens den "bono solidario" bekommt, einen staatlichen Monatszuschuss in Höhe von 30 Dollar. Und der gläubige Evangelikale hofft, dass alles bald besser wird - wegen Präsident Rafael Correa.
Vor gut 20 Jahren hatte Correa als frisch gebackener Wirtschaftswissenschaftler ein Jahr in Zumbahua verbracht. Als freiwilliger Helfer der Salesianerbrüder unterrichtete er Schüler in abgelegenen Winkeln der ländlichen Gemeinde. Vor seinem Amtsantritt im Januar 2007 kam der Linkskatholik in Begleitung seiner Präsidentenkollegen Evo Morales aus Bolivien und Hugo Chávez aus Venezuela hierher, ließ sich in einer farbenfrohen Zeremonie auf dem Marktplatz segnen und einen indigenen Herrscherstab überreichen. "Das war sehr bewegend", erinnert sich Ante. Er vertraut dem 45-jährigen Staatschef, der Ecuador aus der "langen neoliberalen Nacht" herausführen will. Stolz zeigt er seinen Mitgliedsausweis der Regierungspartei Alianza País mit Correas Konterfei.
Wie Ante sind fast alle Einwohner Zumbahuas Nachfahren der Ureinwohner. Im ganzen Land sind es an die fünf Millionen, rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Meistens gehören sie zu den Ärmsten, besonders da, wo der Ressourcenreichtum des Landes am größten ist. So im Amazonasurwald, wo Ölmultis in den vergangenen 40 Jahren ganze Landstriche verwüstet haben.
Die modernen Indígena-Organisationen knüpfen an den antikolonialen Widerstand früherer Jahrhunderte an. Mit ihren Protesten stürzten sie vor acht Jahren den Präsidenten Jamil Mahuad, verhinderten 2006 ein Freihandelsabkommen mit den USA und sorgten mit dafür, dass der US-Ölkonzern Oxy das Land verlassen musste. Damit ebneten sie Correa den Weg zum Wahlsieg.
Doch schon da war das Verhältnis zwischen dem charismatischen Senkrechtstarter und den langjährigen Aktivisten aus dem Dachverband Conaie gespannt. In den Präsidentenwahlkampf zog man getrennt. Der Conaie-Kandidat landete auf den hinteren Plätzen, Correa triumphierte. Das Antrittsritual in Zumbahua fädelte der Präsident mit den örtlichen Indígenas ein und brüskierte damit die großen Organisationen.
Im Wahlkampf 2006 hatte Correa eine alte Conaie-Idee aus den Neunzigerjahren aufgegriffen: Die "Neugründung" des chronisch instabilen Anden-Landes zwischen Amazonas und Pazifik wollte er durch eine neue Verfassung einleiten. Mit Blick auf die progressive Mittelschicht der Städte nannte er sein Projekt "Bürgerrevolution". Und die Rechnung ging auf: Am 28. September nahmen 64 Prozent der EcuadorianerInnen das im Juli verabschiedete Grundgesetz an, der Staatschef steht glänzender da denn je zuvor und könnte nach zwei wahrscheinlichen Wahlsiegen bis 2017 amtieren. Die rechte Opposition, angeführt von Provinzpolitikern und konservativen Bischöfen, brachte es trotz großer medialer Verstärkung nur auf 28 Prozent für das "Nein".
Vor allem in einem Punkt unterscheidet sich Ecuador von allen anderen linken Projekten in Südamerika - es findet eine vergleichsweise offene Debatte statt. In Venezuela oder Bolivien lässt die Links-rechts-Polarisierung kaum Platz für differenzierte Diskussionen über unterschiedliche Entwicklungsbegriffe oder den Widerspruch zwischen populären bis autoritären Staatschefs und echter Partizipation von unten.
Die Kontroversen zwischen Correa und den Indígenas hingegen werden offen ausgetragen: "Wir fühlen uns nicht von ihm respektiert", sagt die Globalisierungskritikerin Blanca Chancoso, "ohne das Volk gibt es keine Revolution." Ihr Conaie-Kollege Floresmilo Simbaña pflichtet ihr bei: "Correa will schon ein Bündnis mit uns - solange er den Ton angibt." Der 36-jährige Hochland-Kichwa mit dem langen Pferdeschwanz gehört zu den Intellektuellen der indigenen Bewegung, die die programmatische Diskussion um die Verfassung ganz erheblich mitgeprägt haben. Dass der Staat jetzt als "plurinational" definiert ist, sei ein "riesiger Fortschritt": "Das bedeutet, dass wir nicht nur als individuelle Bürger auftreten, sondern auch als indigene Völker und Nationalitäten - mit kollektiven Rechten und Pflichten."
"Wir wollen den Staat, das politische System, die Gesellschaft und die Wirtschaft gründlich umbauen", formuliert Simbaña den hohen Anspruch der Indígenas. Die Richtschnur dafür lautet: "sumak kawsay". Das Konzept vom "guten, harmonischen Leben" knüpft an die traditionelle Weltsicht der andinen Ureinwohner an. Gleich zu Beginn der Präambel wird die Natur als "Pacha Mama (Mutter Erde) gefeiert. "Wir begreifen Leben und Wirtschaft als vielschichtige Phänomene, die sich nicht auf Markt oder Staat reduzieren lassen", sagt Simbaña und stellt klar, dass das Ziel eine umweltfreundliche Wirtschaftsweise sein müsse: "Wenn wir Revolution nur als Stärkung des Staates begreifen, dann laufen wir Gefahr, uns weiterhin auf Kosten der menschlichen Arbeitskraft und der Natur zu entwickeln."
Auf diesem Gebiet hat der Verfassungskonvent acht Monate lang Pionierarbeit geleistet. Großen Anteil daran hatte Alberto Acosta. Der 60-jährige Ökonom war Mentor Correas, erster linker Energieminister und anschließend Präsident der Verfassunggebenden Versammlung. Zwar trat der rot-grüne Intellektuelle und wichtigste Verbündete der Indígenas im Juni nach einem heftigen Streit mit Correa zurück - der Staatschef und seine Gefolgsleute hatten aufs Tempo gedrückt und setzten schließlich die Verabschiedung des Textes im Schnellverfahren durch.
Doch anschließend warb Acosta vehement für das "Ja" im Referendum und will nun für eine rasche Umsetzung des Grundgesetzes streiten, wenn auch nicht als Politiker. Ihm ist maßgeblich zu verdanken, dass die Rechte der Natur festgeschrieben wurden - eine weltweite Premiere. Auch sonst bieten die 444 Verfassungsartikel eine sehr konkrete Ausschmückung des "guten Lebens": kostenlose Bildung, Gesundheitsversorgung und eine garantierte Mindestrente für alle, Verbot von Kinderarbeit, Outsourcing oder sexueller Diskriminierung, Transparenz und Kontrolle der bislang notorisch korrupten Staatsorgane durch "Bürgerräte". "Nun müssen wir durch entsprechende Gesetze dafür sorgen, dass es nicht nur bei schönen Worten bleibt", sagt Acosta.
Besonders auf dem Weg zu einem ökologischen Wirtschaftsmodell sind weitere Konflikte programmiert. Um einen Sozialstaat auf- und die Kluft zwischen Arm und Reich abzubauen, möchte der Präsident vor allem die Staatseinnahmen aus dem Erdölexport und dem Bergbau deutlich erhöhen. Die Zustimmung der betroffenen Gemeinschaften zu Förderprojekten ist weiterhin nicht zwingend erforderlich, wie das die Indígenas gefordert hatten. Auch in der Landwirtschaft setzt Correa auf klassische Wachstumsrezepte: Bananenexporte bleiben eine wichtige Devisenquelle, zu einer Landreform macht er keine Anstalten. Der Verfassungstext erlaubt es ihm sogar, "ausnahmsweise" die Gentechnik in der Landwirtschaft zuzulassen.
Die Einwände von Indígena- oder Umweltaktivisten tat er wiederholt als "kindischen Linksradikalismus" ab, ökosozialistischen Parteifreunden warf er gar vor, die "Bürgerrevolution" unterwandern zu wollen. Die Forderung, die wichtigste Indianersprache Kichwa zur zweiten, gleichberechtigten Staatssprache zu machen, bügelte er ab.
Auch in Zumbahua war Rafael Correas Kampagne für das "Ja" zur Verfassung zugleich Wahlkampf für sich selbst: Anfang 2009 will er sich wiederwählen lassen. Als er vor ein paar Wochen einen modernen Schulkomplex einweihte und kostenlose Medikamente versprach, wurden auf dem Marktplatz nicht nur gelb-blau-rote Landesfahnen mit der Aufschrift "Sí" geschwenkt, sondern auch die bunten Flaggen der indigenen Bewegung.
Ricardo Ante weiß kaum etwas von den Konflikten zwischen Correa und den linken Aktivisten, auch die Verfassung hat er nicht gelesen. Für den Präsidenten zeigt er viel Verständnis und meint: "Man kann doch nicht alles über Nacht verändern."
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