: Die Hochöfen der Dialektik
Kino zur Ästhetisierung der Politik: Der argentinische Regisseur Fernando Solanas sieht Filme vor allem als Instrument revolutionären Handelns. Dieses Jahr erhält er den Goldenen Bären für sein Lebenswerk und präsentiert seinen neuestes Werk
VON LUCIANO MONTEAGUDO
Die Filme von Fernando Solanas waren immer – und sind es weiterhin – eine neue, andere, bewegende Erfahrung. Wenige argentinische Filme, wenn nicht gar keiner, haben national und international die große Kontroverse hervorgerufen wie sein erster Film, „La hora de los hornos“ (1966–1968) („Die Stunde der Hochöfen“). Eine politische und auch ästhetische Kontroverse, die mit der Zeit nicht verschwand, sondern im Gegenteil an Intensität und öffentlicher Popularität zunahm, während der Film durchschnitten wurde von verschiedenen historischen Ereignissen des Landes, von der Militärdiktatur Juan Carlos Onganias Mitte der 60er-Jahre bis zur Rückkehr von Juan Domingo Peron an die demokratische Macht zehn Jahre später.
Diese Fähigkeit, ein anderes und polemisches Kino zu schaffen, weg von den durch die große westliche Filmkunst (Hollywood, Europa) begründeten Konventionen, hatte ihre stetige Fortsetzung in der Hand voll Filme, die Solanas in etwas mehr als dreißig Jahren realisieren konnte, bis zu „Memoria del saqueo“ (Geschichten einer Plünderung), der seine Welturaufführung auf dieser Berlinale hat, wo Solanas außerdem für sein Lebenswerk mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wird. Jeder dieser Filme hat auf seine Art einen originellen Blick auf Argentinien geworfen, eine Vision, die durch kein Modell bestimmt ist, das nicht das seine ist.
In diesem Sinn kann man sagen, dass Solanas einer der wenigen authentischen Autoren des nationalen Kinos ist, in dem Maße, in dem sein Kino immer seinen expressiven Bedürfnissen entspricht, seiner Ideologie und seiner persönlichen Konzeption des schöpferischen Handelns. Denn Solanas ist viel mehr als der Regisseur seiner Filme: er ist auch Drehbuchautor, Produzent, Bühnenbildner, Musikkomponist und in einigen Fällen, wie jetzt in „Geschichten einer Plünderung“, auch Kameramann. Nichts vom Kino ist ihm fremd.
Alles in seinen Filmen ist groß, alles erreicht eine mythische Dimension. Solanas ist der Cineast der großen Geste, der immer beschließt, die Themen komplexer und abstrakter zu behandeln – die nationale Identität, die Geschichte als Treffpunkt –, und der sich traut, dies auf eine immer neue, freie, vorurteilsfreie Art zu tun.
Solanas ist in seiner Art einer der wenigen argentinischen Regisseure, die die Praxis des Kinos mit einer konstanten theoretischen Reflektion begleitet haben, wovon nicht nur seine Bücher zeugen, sondern auch die unzähligen Interviews und Reportagen, in denen er zeigt, dass sein Werk immer auf einem ausgefeilten Prozess kritischer Analyse beruht, in denen er jeden seiner Filme mit dem gleichen Eifer verteidigt, wie er öffentlich die Korruption der herrschenden Klasse anzeigt. Das brachte ihm Anfang 1991 einige Kugeln in die Beine ein, ein Attentat, das ihn einschüchtern sollte, als er in seiner Rolle als Abgeordneter auf den Verkauf von öffentlichem Vermögen während der Präsidentschaft von Carlos Menem aufmerksam machte.
Aber ein Cineast ist vor allem das, was sein Werk sagt. Und das von Solanas spricht vom Land, vom Peronismus, vom Exil, von der Demokratie, vom Volkswiderstand. Es ist zum Beispiel unmöglich, sich auf „Die Stunde der Hochöfen“ zu beziehen außerhalb des politischen und sozialen Kontextes, weil der Film eben als ein Instrument revolutionären Handelns entstand in einem Moment, in dem – speziell in Lateinamerika – die Idee der „Befreiung“ immer mehr gärte, im weitesten und vielseitigsten Sinne des Wortes.
Heimlich realisiert und aufgeführt in Europa während der Arbeiter- und Studentenunruhen im Mai 1968, entsprach „Die Stunde der Hochöfen“ weniger den ästhetischen Motivationen als den ideologischen. Wenn „Die Stunde der Hochöfen“ die These von der Befreiung als einzige Alternative zur Abhängigkeit (politisch, kulturell, ökonomisch) darstellte, dann sollte der Film den vom dominierenden System festgelegten herkömmlichen Kinomodellen abschwören. In der Praxis des Films entwickelt sich schon die Theorie vom „Dritten Kino“: Das Werk sollte aus einer eigenen Notwendigkeit, einer lateinamerikanischen, entstehen.
Der Schockeffekt, den der Film hervorrief – und noch hervorruft – hat vor allem mit der Form zu tun, in der der Film strukturiert ist, ausgehend von Anmerkungen, Kapiteln oder „Zellen“, die eine Thesis entwickeln, ihre Antithese und schließlich ihre Synthese – marxistische Dialektik pur.
Wenn Solanas bis dahin entschlossen war, die Kunst zu politisieren, ging er in „Tangos, das Exil von Gardel“ dazu über, die Politik zu ästhetisieren. Die einzigartige Gottheit, die in „Die Stunde der Hochöfen“ und „Die Söhne von Fierro“ Peron war, wird in „Tangos“ durch die übereinstimmenden Vielgötterei der Intellektuellen und Künstler verdrängt. In dem Film scheint das geisterhafte Auftauchen von José de San Martin, nach 25 Jahren Exil alt und müde, auch einen Willen zur Verständigung zu bestätigen: „Seit anderthalb Jahrhunderten warte ich darauf, die Heimat zu sehen, die wir uns groß und vereint vorstellen …“, seufzt er, während Carlos Gardel, Mate trinkend auf einer Bank, auf ein Grammophon seine Version des Tangos „Volver“ (Rückkehr) auflegt.
Die folgenden Filme von Solanas, „Die Reise“ und „Die Wolke“, werden langsam grauer, dunkler, in dem Maße, wie sich diese Hoffnung in Frustration verwandelt. Die Diagnose des Landes unterscheidet sich jetzt in „Geschichten einer Plünderung“ nicht viel von der von damals, nur ist der Zustand heute viel schlimmer. Die Krise, die Argentinien 2001 durchlebte, war die schlimmste seiner Geschichte, und Solanas zeigt die Verantwortlichen auf: eine korrupte politische Führung, aber auch die großen Wirtschaftskonglomerate und internationalen Finanzorganismen, die mit Habgier und Heimtücke handelten.
Trotzdem sieht Solanas Licht am Ende des Tunnels. Er ist dabei, seinen nächsten Film fertig zu stellen: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Übersetzung aus dem Spanischen von Barbara Bollwahn. „Memoria Del Saqueo“, heute 21 Uhr, International; Freitag 12 Uhr, Royal Palast; Sonntag 20 Uhr, International