DIE STEUERREFORM WECKT HOFFNUNGEN – WAHRSCHEINLICH FALSCHE : Die Hakle-feucht-Theorie
Wirtschaft und Religion haben etwas gemeinsam: In beidem spielt die Hoffnung eine große Rolle. Wirtschaftspolitik muss in schlechten Zeiten immer Erwartungspolitik sein, dazu dienen, den Glauben an eine bessere Zukunft zu nähren. Nichts anderes passiert durch die aktuelle Debatte um ein Vorziehen der Steuerreform. Die Frage ist nur, ob der Zauber wirkt.
Zu den Fakten: Befürworter eines Vorziehens der dritten Stufe der Steuerreform argumentieren, dass die niedrigeren Steuersätze den Konsum und damit die Wirtschaft ankurbelten. Hätte der Verbraucher mehr Geld zur Verfügung, dächte er vielleicht wieder über den Erwerb eines neuen Autos nach oder lüde sich Hakle feucht und andere Luxusartikel in den Einkaufskorb. Die Hakle-feucht-Theorie klingt immer wieder gut, ist aber völlig unbewiesen. Die Bürger können ihr Geld nämlich genauso gut horten statt es auszugeben, wenn ihnen der Staat Steuern nachlässt.
Vor allem aber ist völlig ungeklärt, ob sich die höhere Kaufkraft so positiv auswirkte, dass damit die Einbußen an öffentlicher Finanzkraft ausgeglichen würden. Wenn man die dritte Stufe der Steuerreform vorzöge, fehlten dem Bundesfinanzminister im Jahre 2004 rund 19 Milliarden Mark an öffentlichen Mitteln. Man könnte zwar theoretisch die Agrarsubventionen, die Eigenheimzulage und anderes kürzen, aber niemand weiß, was am Ende an so genannter wirtschaftlicher Belebung wirklich dabei herauskommt. Zudem gibt es einen Gerechtigkeitsaspekt: Die dritte Stufe der Steuerreform entlastet vor allem Spitzenverdiener. Wenn überhaupt, wäre es sinnvoll, nur die Eingangssteuersätze schneller abzusenken, nicht aber den Spitzensteuersatz.
All diese Argumente sind bekannt, doch sie erfassen nicht den Kern der Diskussion. Die ist vor allem eine politische Form der Angstbewältigung: Vorwärts gehen, handeln, angreifen ist immer besser, als gelähmt stehen zu bleiben. An der Steuerreform zu drehen, Zukunft herbeizureden, das suggeriert, dass Rot-Grün in Sachen Wirtschaft noch handlungsfähig ist. Es nährt Hoffnung. Die Enttäuschung kann dann umso größer ausfallen.
BARBARA DRIBBUSCH