piwik no script img

Die Grünen und die AtomkritikerTrittins Anti-Atom-Combo

Nach jahrzehntelangem Streit über die AKW-Gefahren haben die Kritiker endgültig die Meinungshoheit errungen. Ihren Aufstieg verdanken die Experten auch Jürgen Trittin.

Ziehvater der grünen Atomkritiker: Jürgen Trittin. Bild: dpa

BERLIN taz | Es war der Tag der ersten Explosion im Atomkraftwerk Fukushima. Was war passiert? Kann eine atomare Katastrophe wie in Japan auch in Deutschland geschehen? Michael Sailer war zugeschaltet in die ARD-"Tagesschau". Ruhig, mit hessischem Zungenschlag, sagte der Leiter des Öko-Instituts in die Kamera: "Wenn genauso viele Sicherheitssysteme ausfallen, wie jetzt durch Erdbeben und Tsunami kaputtgegangen sind, passiert in unseren Atomkraftwerken genau das Gleiche." Kein Widerspruch, keine Nachfragen.

Nach Jahren harter Auseinandersetzungen hat die Katastrophe eine kleine Gruppe von Atomkritikern plötzlich zu Meinungsführern gemacht. Sie alle eint: Jürgen Trittin hat ihren beruflichen Aufstieg gefördert.

Talkshows, TV-Nachrichten, Radio und Zeitungen: Zu den meistgefragten Interviewgästen gehören vier Männer, deren beruflichen Werdegang der heutige Grünen-Fraktionsvorsitzende entscheidend beeinflusst hat. Zu ihnen zählt Michael Sailer. Der damalige Bundesumweltminister Trittin machte ihn 2002 zum Chef der Kommission für Reaktorsicherheit. Sie berät das Bundesumweltministerium. Der Mann mit der grau werdenden Haarpracht und dem Schnauzbart behielt den einflussreichen Posten bis 2006. Bis heute leitet er das Öko-Institut in Darmstadt.

Bereits kurz nach dem Antritt von Rot-Grün ernannte Trittin Wolfram König zum Chef des Bundesamts für Strahlenschutz. Der 53-Jährige hat diesen Posten noch immer inne - und ist einer der Lieblingsfeinde der Atomenergiekonzerne. Damit ist er das markanteste Überbleibsel jenes Umbruchs, die der Regierungswechsel 1998 einleitete.

Schon unter dem damaligen hessischen Umweltminister Joschka Fischer galt Rainer Baake als strategischer Kopf hinter dem Ressortchef. Trittin holte Baake 1998 als Staatssekretär in sein Umweltressort. Der 55-Jährige ist heute Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Er war maßgeblich beteiligt am Zustandekommen des Atomausstiegsgesetzes, das Anfang des Jahrtausends in mühsamen Verhandlungen mit den Betreibern entstand.

Der vierte einflussreiche Trittin-Protegé ist Wolfgang Renneberg. Von 1998 bis 2009 war der Atomexperte Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium. Trittins Amtsnachfolger Sigmar Gabriel (SPD) nutzte Rennebergs Expertise. Nach der Ressortübergabe an Norbert Röttgen (CDU) wurde Renneberg ersetzt - ausgerechnet durch seinen Vorgänger Gerald Hennenhöfer. Den Posten des obersten Atomaufsehers hatte dieser bereits unter Ministerin Angela Merkel inne. Als Beauftragter des Atomkonzerns Viag, heute Eon, handelte er den Atomausstieg aus.

Vielleicht auch deshalb schont Renneberg den heutigen Umweltminister nicht. Anfang der Woche urteilte der Atomexperte in einer ARD-Talkshow: "Wenn Herr Röttgen sagt, dass nur die Reaktoren am Netz blieben, die zu 100 Prozent sicher sind, müsste er alle Atomkraftwerke abschalten."

Bedenklich finden die Grünen die engen Bande zwischen Atomexperten und ihrer Partei nicht. "Trittin hat nach dem Regierungswechsel zu Rot-Grün dafür gesorgt, dass endlich auch atomkritischer Sachverstand in die Beratungsgremien des Ministeriums und die Forschungsinstanzen Einzug fand", urteilt Michael Schroeren. "Und zwar gegen die Atomlobby, auch gegen Gerhard Schröder." Schroeren war unter Trittin und Gabriel Sprecher des Umweltministeriums und prägte die Taktik des Hauses mit. Auch seine enge Verbindung zu Trittin ist geblieben: Schroeren ist heute Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • K
    Knoedel

    Hallo !

    Doc Mison, Du bist mir aber ein Schelm lol.

  • P
    PeterWolf

    @Scarlett

    Liegt wohl weniger an der Frauenfeindlichkeit von Jürgen Trittin als an dem Atomphysikerinnen ziemlich selten sind und atomkritische erst recht.

    Oder hätte er Frau Dr. Angela Merkel ernennen sollen, um der Quote zu genügen?

    Eine fachfremde Frau wäre genauso absurd, ergo blieb ihm nichts anderes übrig.

    Viele Grüße

    Peter Wolf

  • VR
    Volker Rockel

    Der Atomdeal der Bundesregierung war und ist ein Skandal!- Dennoch, hätte rot/grün die Sicherheitsbedenken in der Regierungszeit Schröder bereits ernst genommen, hätte man bereits damals bestimmte Meiler aufgrund bestehender gravierender Risiken in den Kühlkreisläufen zwingend vom Netz nehmen müssen!

     

    Das hat man damals nicht getan, weil man (wie auch jetzt deutlich wird!) Schadensersatzforderungen der Betreiber befürchten hat!

     

    Hätte man damals die bestehnden Risiken gegenüber der Öffentlichkeit offengelegt und für eine sofortige Abschaltung eine gesetzliche Grundlage geschaffen, hätte man bereits damals eine grundsätzliche Entscheidung für oder gegen die Atomkraft treffen müssen!- Mithin hätte man bereits damals bestimmte Meiler sofort abschalten müssen und bereits heute eine andere energiepolitische Ausgangssituation gehabt!

     

     

    Auch rot/grün, war damals im politischen Handeln inkonsequent und hat sich den Energieunternehmen und ihren Interessen gebeugt!- Hätten sich Trittin und seine Nachfolger im Amt, um mehr Transparenz über die bestehenden Risiken gegenüber der Öffentlichkeit bemüht (vom Thema Asse und Gorleben ganz zu schweigen!), wäre bereits wesentlich früher auch eine fundierte Meinungsbildung in der Öffentlichkeit möglich gewesen.

     

    Aber offenbar war dieses politisch nicht gewollt? Insoweit wurde bereits auch zu Regierungszeiten rot/grün mit dem Thema „Atomkraft“ politisch taktiert; und im Zweifel Risiken, zugunsten der Interessen der Energieunternehmen, „unter den Tisch gekehrt“!

     

    Hier haben viele Politiker „Dreck am Stecken und nicht nur eien völlig orientierungslose Kanzlerin Merkel.

     

     

    Dass nun die Regierung Merkel bis zur Halskrause im Dreck steckt verwundert ohnehin nicht.- Wer als Regierung kein konkretes Konzept hat und völlig ziellos agiert - und offensichtlich nach „Gutsherrenart“ beginnt zu regieren - der beschwört nicht nur für sich ein politisches Scheitern herauf, sondern handelt auch nicht mehr im Interesse der Bürger dieses Landes! (Eine solche Regierung gehört, ob der Risiken für dieses Land und seine Bürger, gleichfalls „abgeschaltet“!)

     

     

    Ich denke aber, es ist nunmehr auch an der Zeit die Frage zu stellen, ob und inwieweit die Verstaatlichung der Energieunternehmen volkswirtschaftlich nicht eine sinnvolle konkrete Option wäre?- Zum einen weil die Abhängigkeit zu den ausschließlich profitorientierten Energieunternehmen weiter wächst (und sich die Politik offensichtlich deren monetären Zielen in ihrem politischen Handeln unterordnet!) und zum anderen, weil nunmehr auch klar erkennbar ist, dass Invests in eine zukunftsfähige Energieversorgung letztendlich nur noch durch den Staat finanzierbar sein wird (siehe Weigerung der Energieunternehmen in den Netzausbau zu investieren) und zweifelsohne die Entsorgung bzw. Endlagerung des Atommülls ohnehin der Bund finanzieren muss.- Mithin zahlt ohnehin in jedem Falle der Bürger die Zeche;- sei es über das Steueraufkommen oder über den Strompreis!

     

    Diese unsere Volkswirtschaft muss sich aus der Abhängigkeit zu den Oligopolisten im Energiebereich endlich befreien!- Das „Rumgemurkse“ und „politische Taktieren“ muss endlich ein Ende haben!- Und die Verstaatlichung ist jetzt eine diskussionswürdige Option um die Zukunftsfähigkeit der Energieversorgung im Rahmen eines schlüssigen energiepolitischen Konzepts sicherzustellen!

     

     

     

    PS: Im Übrigen wäre es mit Sicherheit sinnvoll, wenn auch die Grünen endlich über ein eigenes Konzept diskutieren würden, das eine Vorstellung von der Energiepolitik für die nächsten Dekaden zum Inhalt hat!- Im Moment scheinen die Grünen auf der Welle der Versäumnisse und Fehler dieser "sogenannte Regierung Merkel" zu reiten!- So ist aber man nicht regierungsfähig!

  • T
    Tasso

    Nun, das kann ja problemlos beides wahr sein:

     

    Einerseits wird Vetternwirtschaft nicht plötzlich zu einem qualitativ hochwertigen Merkmal, nur weil es die Grünen machen, und selbstverständlich sollte man bei ihnen ein genau so wachsames Auge auf solche Phänomene haben wie in allen anderen Zusammenhängen.

    (Wenn es sich hier überhaupt um Filz o.Ä. handelt. Dass nicht einfach jedesmal der Qualifizierteste den Job bekommen hat, müsste ja durchaus noch eigens bewiesen werden.)

     

    Trotzdem, selbst wenn es sich hier um Vetternwirtschaft handeln sollte, ist es trotzdem wahr und sehr erfreulich, dass dadurch auch mal andere Stimmen zu Wort kommen.

    Dass die Atomlobby-Protegés alle durch reinste Qualifikations an ihre Jobs gekommen sind, darf man ja getrost mindestens ebenso sehr bezweifeln.

     

    Und vielleicht haben die Wähler 1998 auch ganz einfach demokratisch entschieden, dass mal Zeit für eine andere Sorte Filz ist.

    Fänd ich völlig okay; sollten die mal öfter machen.

  • DM
    Doc Mison

    Unsere ReGIERung wird langsam auch paranoid. Es wurde doch tatsächlich die Heute-Show wegen atomkraftfeindlicher Witze abgeschalten.

     

    http://www.youtube.com/watch?v=fv-NZ1akLAk

  • S
    scarlett

    sehr schön und nett alles - es wurde damals und heute zeit, dass auch atomkritische berater in regierungsfunktionen einen platz finden! und doch eben nur berater, keine einzige frau. das sagt mir: trittin ist eben auch nur ein mann der andere männer fördert..

  • KT
    Karl Theodor zu Guttenberg

    Ich zitiere:

     

    "Schon die Bundesregierung aus SPD und Grünen traute sich nicht, den Atomausstieg einfach per Gesetz im Bundestag durchzusetzen. Sie ließ sich auf Verhandlungen mit der Atomlobby ein und schloss mit ihr einen Ausstiegskompromiss ab. Warum, Herr Trittin, konnten Sie und Ihre sozialdemokratischen Mitstreiter den Atomlobbyisten nicht einfach sagen, dass die Mehrheit des Bundestages entscheiden wird? Wir sind das höchste demokratisch gewählte Organ der Bundesrepublik Deutschland. Warum feilschten Sie mit den nicht gewählten Atomlobbyisten herum, bis Sie einen unzureichenden Ausstiegskompromiss erzielten?"

     

    Quelle: Rede von Gregor Gysi im Bundestag am 17.3.2011

  • B
    bemerkenswert

    Es ist bemerkenswert, dass Trittin ausnahmslos Leute seines eigenen Jahrgangs protegiert hat, was nicht bedeutet, dass der Kampf gegen Atomenenergie nicht eines seiner Herzenanliegen ist.