■ Die Grünen legen eigenes Steuermodell vor: Von wem nehmen und nicht stehlen?
Schon bemerkenswert, wie die Debatte um materielle Umverteilung in jüngster Zeit verstummte. So als verschwände mit der Debatte auch die materielle Ungerechtigkeit selbst. Die Angst, mit einer Forderung nach höheren Abgaben in Verbindung gebracht zu werden, ließ auch die Sozialdemokraten schweigen. Denn höhere Abgaben sind derzeit ungefähr das Unpopulärste, was es gibt. Es mußten deswegen die Grünen sein, die jetzt mit einem Gutachten zur Einkommenssteuerreform einen neuen Akzent setzen. Sie wagen sich damit nicht nur an ein derzeit unpopuläres Thema. Das beim Wirtschaftsinstitut DIW in Auftrag gegebene Gutachten zeigt auch: um gerechter zu verteilen, reicht es nicht, einfach von oben nach unten zu schichten. Familienverhältnisse und Einkommen müssen miteinander verwoben werden. Umverteilung ist komplizierter als die simple Frage, ab welcher Verdienstgrenze man denn als Besserverdienender zu gelten habe.
In der Studie haben die Grünen die Variablen des Einkommens, den Ehestand und die Elternschaft miteinander verknüpft, um mehr Steuergerechtigkeit zu schaffen. Nach dem Grünen-Modell sollen Geringverdienende mehr entlastet werden, Besserverdienende mehr zahlen. Wer Kinder hat, soll es besser haben als jemand ohne Nachwuchs. Hochverdiener, die eine nichtarbeitende Ehefrau zu Hause haben, sollen nicht mehr vom Ehegatten-Splitting profitieren. Die Folge der Umverteilung per Computerprogamm: nach dem Grünen-Modell verlieren vor allem kinderlose Ehen, in denen ein hochbezahlter Alleinverdiener das Geld nach Hause bringt, an Einkommen. Aber auch wenn Kinder da sind und nur eine/r verdient, geht es ans Budget. Beim Jahreseinkommen eines Alleinverdieners von 120.000 Mark und zwei Kindern würden dann 3.000 Mark mehr kassiert. Verdient auch die Ehefrau mit, werden dagegen Steuern gespart. Doppelverdiener mit Kindern gehören also zu den Gewinnern des grünen Modells. Reiche in konventionellen Ehen dagegen werden bestraft.
Ob das ganze Modell funktionieren könnte, ist, wie bei den Modellrechnungen auch der Regierungskoalition, natürlich nicht ganz geklärt. 18 Milliarden Mark wollen die grünen Finanzexperten noch durch den Wegfall von Vergünstigungen für Besserverdienende erwirtschaften, einige Milliarden an hinterzogenen Steuern eintreiben. Aber immerhin hat das Modell etwas, was in der gegenwärtigen Diskussion um materielle Gerechtigkeit fehlt: einen Standpunkt. Nicht ob das Modell funktioniert, ist deshalb interessant. Sondern, ob ein solches Modell überhaupt noch von den großen Parteien diskutiert wird. Es ist populistischer, das Thema „Umverteilung“ zu ignorieren oder nur platt über Waigels Griff in die Tasche des Normalbürgers zu mosern. Eine Umverteilungsdebatte in einer komplexen Gesellschaft ist den großen Parteien vielleicht auch zu anspruchsvoll für eine öffentliche Diskussion: Steuerwissen bleibt Herrschaftswissen, weil wenig mediengeeignet. Auch deswegen ist das grüne Modell der Mühe wert. Barbara Dribbusch
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