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■ Die Grünen in den windigen Zeiten der sozialen Krise: Sie laufen Gefahr, sich als Reformpartei zu verabschiedenKein Mut zur Zumutung

Wo ist sie denn eigentlich hin, die einst so lebendige, so ansteckende Reformkraft im Lande? Da wird in der Sozialstaats- und Spardebatte so heftig gestritten wie schon lange nicht mehr, aber die Grünen wirken seltsam verstört und scheinen sich nicht recht entscheiden zu können, mit wem sie es nun halten wollen. Joschka Fischer hat sich über die Folgen der Globalisierung früh Gedanken gemacht, aber der wind of change hat seine Partei trotzdem kalt erwischt. Er schüttelt sie durch, fegt den Protagonisten manchen alten Hut vom Kopf. Und nicht wenige Grüne laufen den alten Hüten nach.

Als Umweltbewegung sind die Grünen groß geworden, und als Spezialisten für die Bewahrung der Natur und den Schutz des Menschen vor technologischen Risiken wird ihnen vom Wahlpublikum Kompetenz zugeschrieben. Aber in der sozialen Krise drängt der Mechanismus der Bedürfnisse und Ängste die Ökologie an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung. Als das Sparpaket geschnürt war und die großen Kontrahenten anfingen, aufeinander einzuschlagen, da spielten die Vorschläge der drittstärksten parlamentarischen Kraft plötzlich kaum mehr eine Rolle.

Diese Erkenntnis muß Panik ausgelöst haben: Was passiert mit den Grünen, wenn die sozialen Konflikte schärfer werden sollten? Prompt traten in den vergangenen Wochen die Protagonisten und Sozialexperten der Umweltpartei mehrmals vor die Presse, nur um zu dokumentieren: Wir sind noch da und wollen uns an der laufenden Debatte beteiligen. Aber Vorschläge wurden nur wenige präsentiert – und wenn, dann waren sie mit den eigenen Gremien nicht abgestimmt.

Mit ihrer Polemik gegen „Sozialabbau“ und Warnungen vor einer „anderen Republik“ läuft die als Reformkraft angetretene Partei Gefahr, sich nur als Verteidiger des Bestehenden zu präsentieren. Dabei steht die Grundsatzentscheidung erst noch bevor: Wollen die Grünen sich in den Block der Bewahrer einreihen oder sich im Wettbewerb der Gestalter hervortun?

Allein der mühselige Weg zum Entscheidungsprozeß und der um Verständnis bettelnde Ton der Regierungsappelle zum Sparpaket müßten noch den Böswilligsten davon überzeugen, daß Helmut Kohl von Maggie Thatcher weit mehr trennt als von Rudolf Scharping. Die Union ist eben kein Kartell von Sanierungsbaronen, die gegen jede Vernunft und alle Widerstände mit einem Federstrich die Existenz Hunderttausender mutwillig gefährden.

Auch wenn die Gewerkschaften nun Druck machen: Mit der Korrektur einzelner Regelungen des Sozialstaats wird nicht der Zusammenhalt und der soziale Wert der Gesellschaft als Ganzes geopfert. Gerade die Klientel der Grünen hält doch zumindest den Anspruch hoch, wonach sich das Soziale einer Gesellschaft nicht nur durch Nehmen, sondern auch durch Geben, durch Übernahme von Verantwortung und durch Einmischung aus freien Stücken konstituiert.

Die Sozialpolitiker der Grünen sind stolz darauf, daß unter den Wählern und den Trägern der Parteiarbeit viele Menschen sind, die die Hilfe für Schwächere oder Benachteiligte zu ihrer Sache gemacht haben und dieses Ziel mit viel Energie verfolgen. An sie müßte sich eine Kampagne richten, mit der die Grünen die unsinnige Alternative zwischen den Polen „Weiter so“ und „Kapitalismus pur“ aufbrechen könnten. Die sozial engagierte eigene Klientel will nicht nur als Opfer, sondern als Beweger und Gestalter mit eigenem Einsatz, mit eigener Erfahrung und Energie angesprochen werden. Es ist Zeit, daß die Grünen Angebote und Programme vorstellen, wie die Gewährleistung sozialer Sicherheit von oberster staatlicher Ebene verteilt werden kann auf kleinere Einheiten, wo die Solidaritätsleistung effektiver, besser kontrollierbar und für diejenigen, die Zeit oder Geld opfern, auch lohnender ist.

Der Partei nahestehende Sozialwissenschaftler haben viele Konzepte dazu ausgearbeitet. Warum muß die Vermittlung von Arbeit und Fortbildungsangeboten nur beim Arbeitsamt angesiedelt sein und nicht bei lokalen Institutionen, die sich besser auskennen? Warum können nicht Bürger Steuererleichterungen in Anspruch nehmen, die sich zusammentun und Arbeitslose zum Tariflohn einstellen, damit diese Gemeinschaftsaufgaben erledigen?

Den Weg vom Staatsinterventionismus zur Beschränkung staatlicher Ansprüche und Ausgaben hat ein kleiner Teil der Grünen schon beschritten. Aber die öffentlichen Beiträge zur Sozialstaatsdebatte legen nahe, die einst so wachstumskritischen Grünen wollten die Selbsttäuschung mittragen, wonach stetiger Wohlstandzuwachs gleichsam ein natürlicher Zustand sei und sich nicht einer einmaligen historischen Lage verdanke. Dem Kern grüner Überzeugungen, wonach Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung und Selbstbeschränkung des Menschen notwendig sind, widerspricht jedenfalls das Mehrheitsverhalten in der gegenwärtigen Debatte.

Die größten Zumutungen halten gegenwärtig quer durch alle politischen Lager die Realisten bereit. In der Grünen-Fraktion ist es der haushaltspolitische Sprecher Oswald Metzger, der gegen die Forderungen der Verteiler in der eigenen Partei kämpft. Er hält es für ein „Riesenproblem“, angesichts der dramatischen öffentlichen Verschuldung zu erklären, „daß wir mit Wohlstandsabbau für alle zu rechnen haben“. Wann hat man diese Botschaft von anderen Grünen gehört?

Vor allem das traurige Schicksal der SPD sollte den Grünen zu denken geben. In Befragungen stützt eine breite Mehrheit jede einzelne Position, mit der die Sozialdemokraten öffentlichen Widerstand gegen Korrekturen am Sozialsystem markieren – das ist die Ebene der Wünsche. Aber die SPD selbst ist im Urteil der Befragten weit zurückgefallen, weil nur noch eine Minderheit sie als Reformkraft einschätzt – da geht es um Einsicht in das Mögliche. Es zeigt sich ein erfreulicher Zusammenhang zwischen Glaubwürdigkeit und Mut zur Zumutung.

Die Grünen stehen vor der Frage, ob sie in der Sozialstaatsdebatte für das Publikum unbequem sein wollen und realistisch im Hinblick auf die Möglichkeiten staatlicher Finanzen oder aber doch lieber bequem und unrealistisch. Sollte sich herausstellen, daß die Bevölkerung die Überzeugungen der ausgabenfreudigen 70er Jahre schneller hinter sich gelassen hat als das grüne Milieu, wird diese Entscheidung nicht gut ausgehen. Hans Monath, Bonn

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