■ Die Grünen brauchen mehr als eine Bündnispartnerin: Zusammenarbeit mit der PDS, wo es der eigenen Sache dient
Kein Zweifel, Bündnis 90/Die Grünen stehen in harter Konkurrenz zur PDS; aber leider gibt es keine guten, internen Voraussetzungen für eine sachliche Auseinandersetzung mit dieser Partei. Denn die Protagonisten sind zu sehr Betroffene. Die Gründe für eine Abgrenzung gegenüber der PDS liegen auf der Hand: Ein Teil der Mitgliedschaft sei alte SED- Klientel, die zumindest passiv, wenn nicht gar aktiv zur Unterdrückung und Verfolgung von Teilen der DDR-Bevölkerung beigetragen habe.
Diese ebenso strikte wie unbeholfene Abgrenzung gegenüber der PDS ist im täglichen Geschäft immer weniger vermittelbar. Eine moralische Trutzhaltung ersetzt keine politische Strategie. Dem sehr realpolitischen Phänomen PDS müssen Bündnis 90/Die Grünen anstatt mit Ignoranz und Verachtung mit Auseinandersetzung begegnen.
Die PDS steht für ein Gutteil DDR-Milieu. Kutzmutz und Stolpe sind die besten Beispiele für gelebte Vergangenheit: das ist Rechtfertigung und Zerrissenheit, Identifizierung und Scham, Trotz und Ratlosigkeit. Entschuldigungsformeln für damaliges Verhalten als bereuendes öffentliches Erkennungsmerkmal – doch dazu fühlen sich die meisten Menschen aus der damaligen DDR dann doch zu Recht nicht individuell genug berücksichtigt und bewertet. Angemessener ist es, in der Vergangenheit stattgefundene Vorgänge und Verhaltensweisen differenziert organisations- und personenbezogen zu analysieren und bewerten.
Die PDS wird (noch?) durch die Identitätsklammer Ost gehalten; generationsübergreifend mit im Westen unbekannten olympischen Spagaten, von links (Führungsriege) bis konservativ, bürgerlich-antifaschistisch bis idealistisch- kommunistisch. Wahrlich ein buntes Wahlvolk, aus dem sich die anderen Parteien ihre artengerechte Klientel herauszupicken suchen. Wie lange diese Spagate auszuhalten sind, bleibt Spekulation; der Offenlegungsbeschluß der Stasi-Aktivitäten für FunktionsträgerInnen und die nachfolgende, sehr gebrochene Umsetzungsenergie oder der Dauerkonflikt mit der kommunistischen Plattform deuten die Brüche im PDS-Kitt an.
Bündnis 90/Die Grünen unterliegen der Versuchung, ein politisch-programmatisch bedrohliches PDS-Konkurrenz-Gebilde als vergangenheitsbefangenes und antidemokratisches Feindbild zu zeichnen. Ihre Begründung findet diese Projektion in der Empörung, mit der PDS eine Partei zu erleben, in der personelle Kontinuitäten gegenüber der SED existieren. Die Ablehnung speist sich beim Bündnis 90 jedoch auch aus der Enttäuschung über die eigene gesellschaftspolitische Rolle. An Einfluß kommt man, vor allem in den alten Bundesländern, über ein eher kleinteiliges Maß nicht hinaus, obwohl viel Kraft und Entbehrung in die Arbeit der Bürgerbewegung gesteckt wurde und man sich zu Recht als treibende Kraft der Wende versteht. Das wird jedoch heute von der eigenen Bevölkerung nicht ansatzweise entsprechend honoriert. Daraus resultiert der selbst zuerkannte Makel, als Bürgerbewegung letztendlich versagt zu haben.
Die generelle Ablehnung einer politischen Zusammenarbeit mit der PDS widerspricht bereits der Praxis alltäglicher Zusammenarbeit in den Kommunalparlamenten. Hier wird der Abrechnungseifer mit dem Teufel PDS praktisch und ständig unterlaufen.
Der Vorwurf von Bündnis-90- und auch immer mehr Grünen- VertreterInnen gegenüber der PDS, sie würde unrealistische gesellschaftspolitische Forderungen nur deshalb stellen, weil sie sowieso keine Chance hätte, in die Regierungsverantwortung und damit in die Umsetzungspflicht zu kommen, fällt – ungeachtet real- kommunaler Wirklichkeit – zumindest auf die Bundesgrünen zurück: Ähnliches wurde auch uns früher immer von den Altparteien vorgeworfen. Als ob man nur dann ein Ziel formulieren, gesellschaftliche Utopien entwerfen dürfe, wenn die Umsetzungschance garantiert ist! Nur daran orientiert, hätten wir schon längst die Koffer packen können.
Auch der weitergehende Vorwurf, die PDS wolle im Grunde ihr Partei- und Wahlkampfprogramm gar nicht ernsthaft realisieren, sollte bis zum Beweisantritt nicht länger behauptet werden; er wirkt eher hilflos als hilfreich – letztlich nur anmaßend. Vielen PDSlern kann zum Beispiel der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit nicht so einfach widerlegt werden. Soziale Gerechtigkeit war ohne Frage ein Teil sozialistischen Gedankenguts, das sich in der damaligen SED-Programmatik widerspiegelte und mit der sich auch heute noch ehemalige SEDler und jetzige PDS-Mitglieder und SympathisantInnen identifizieren können. Hier wird an den „guten“ Teil der sozialistischen Idee angeknüpft.
Der Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen ist sich scheinbar einig: die PDS hat kein Konzept für die politische Wende. In Ludger Volmers Augen ist sie auch keine Bereicherung für die Demokratie und sollte sich endlich aus ihrer Oppositionspose herausbegeben. Insgesamt sei die PDS für uns keine strategische Bündnispartnerin, ihr Tolerierungsangebot im Falle einer rot-grünen Minderheitsregierung in Bonn würden wir nicht dulden. Das ist knallharter Politpoker: entweder die WählerInnen wählen rot-grün, oder wir bestrafen sie mit Opposition.
Solche Positionen sind defensiv bis konzeptionslos. Sie thematisieren und analysieren die PDS in allen Schattierungen, lassen aber außen vor, welche eigenen strategischen Ziele Bündnis 90/Die Grünen zur regierungsfähigen Umsetzung eigener Programmatik auf Länder- und Bundesebene verfolgen sollten. Allein darauf zu setzen, durch Überzeugungskraft und verstärkte Öffentlichkeitsarbeit potentielle PDS-WählerInnen auf unsere Seite zu ziehen, verkennt deren Identifizierungswillen mit dem östlichen Protestmilieu und weist zudem noch keinen Weg zu Mehrheiten. Nur mit Programmatik können Gefühle nicht ausgehebelt werden; eher ist die Anerkennung der Gefühle gefordert.
Es gibt gute Gründe, in der Zukunft nicht mehr allein auf die SPD als politischer Bündnispartnerin zu setzen. Bei einem deutlich konservativen Trend in der SPD und einer völlig nichtssagenden FDP muß die Frage erlaubt sein, welchen Sinn eine quasi Ächtung der PDS-Programmatik eigentlich macht, die zumindest formal der unseren am nächsten steht.
Bündnis 90/Die Grünen können es sich politisch nicht leisten, aus Prinzip keine Bündnisse mit der PDS einzugehen. Unsere Zielsetzung ist das Mitregieren, weil wir überzeugt sind, wichtige Beiträge zur gesellschaftlichen Umgestaltung ausgearbeitet zu haben. Gemäß einem solchen politischen Selbstverständnis müssen wir konstruktiv auftreten, anstatt uns in Verweigerungshaltung zu üben.
Deshalb müssen alle, die meinen, daß es auf Landes-/Bundes- oder sonstiger Ebene keine Kooperationsmöglichkeiten mit der PDS geben dürfe, die Bedingungen benennen, unter denen eine Regierungsmehrheit unter Ausschluß der PDS zustande kommen könnte. Eine solche Erklärung ist schon deshalb erforderlich, um die Umsetzung unserer Programmatik zu gewährleisten. Wenn wir jetzt keine Bedingungen für die Zusammenarbeit mit der PDS formulieren, wird sie dies über kurz oder lang an uns gerichtet tun, und das ist dann wahrscheinlich noch weniger politisch und emotional verkraftbar.
Damit soll die PDS nicht als künftige Hoffnungsträgerin für bündnisgrüne Regierungsbeteiligungen hochstilisiert werden; vielmehr ist dies ein Plädoyer dafür, das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen, anstatt wie ein Kaninchen auf die Schlange zu starren. Wir müssen den Sprung aus der Abgrenzung und Ausgrenzung in die Auseinandersetzung und Aufarbeitung mit der PDS schaffen. Auch die SPD wird diskutieren müssen, ob sie nur noch auf bloße Machterhaltung setzt oder noch einmal inhaltliches Profil anstrebt.
Eine echte Auseinandersetzung mit der PDS und auch in der PDS wird erst dann stattfinden, wenn die aktiv in ihr arbeitenden Mitglieder/Sympathisanten merken, daß sie ernst genommen werden von einer anderen für sie wichtigen gesellschaftlichen Gruppierung. Nur dadurch werden sie gezwungen, sich zu ihren Aussagen zu bekennen und sich nicht beliebig zu verhalten. Dann erweist sich, wer den selbstgesteckten Kriterien entspricht und wer nicht. Da wird es dann sicher manche Überraschungen geben.
Vorausgesetzt, Bündnis 90/Die Grünen erzielen prinzipielle Einigung darüber, unter welchen Bedingungen sie die PDS als Kooperationspartnerin akzeptieren können, wäre diese zumindest als Tolerierungspartnerin diskutabel. Keine der beiden Seiten wäre damit überfordert. Auf sich nahestehenden politischen Programmen läßt es sich besser aufbauen als auf Beliebigkeiten der anderen Parteien. Auch die SPD kommt inzwischen sehr in Erklärungsnot, was sie eigentlich anders machen will als die CDU. Es gibt für uns keinen Grund, sie als einzige Bündnispartnerin zu hofieren.
Wir müssen neue Wege für politische Alternativen aufzeigen; dazu werden wir immer mehr als nur eine Bündnispartnerin brauchen. Das wissen wir auch und sollten dementsprechend handeln. Michael Haberkorn
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