: Die Grande Dame
Über 50 Jahre lang auf die kunsttheoretischen Diskurse reagiert: Der Wolfsburger Kunstverein würdigt die Malerin und Grafikerin Helga Pape

Von Bettina Maria Brosowsky
Neben Sine Hansen im Kunstverein Braunschweig und Ehrenbürgerin Niki de Saint Phalle im Sprengel Museum Hannover ehrt auch der Kunstverein Wolfsburg derzeit eine Künstlerin, deren Werk sich in den kunsttheoretischen Diskursen ab den 1960er-Jahren verortet: Helga Pape, geboren 1939 im niedersächsischen Schöppenstedt. Wie Hansen (1942–2009) studierte sie an der damals noch städtischen Werkkunstschule in Braunschweig, Pape von 1956 bis 1961, dem Jahr, in dem Hansen ihr Studium begann. Pape schloss Kunstpädagogik und Kunstgeschichte an, zwischen 1974 und 1978, an der nun staatlichen Hochschule für Bildende Künste und der TU Braunschweig.
Wie weit sich die zwei persönlich kannten oder schätzten, ist nicht bekannt, beider Wege in der Kunst verliefen unterschiedlich. Hansen umwehte, wenn auch nicht nachhaltig, ein Hauch Glamour als deutsche Vertreterin der Pop-Art. Pape dagegen konzentrierte sich auf die Region, sie war die erste Frau (und einige der wenigen Personen überhaupt), die Quartier im Schloss Wolfsburg bezog.
Mit dem Grafenschloss hatte die 1938 aus dem Boden gestampfte Stadt in den späten 1950ern Großes vor: Aus dem NS-Nachlass zugefallen, sollte es zur Kunstkolonie werden: die „Schloss-Straße 8“ ward geboren. Kunstschaffenden wurden Atelierräume und Werkstätten angeboten, Existenzmöglichkeiten in Schulen oder Erwachsenenbildung, Ankäufe und die Beteiligung an öffentlichen Aufträgen versprochen. Auch eine Wohnung im Schloss zählte zum Programm.
Ausstellung „Helga Pape. Energien, Werke 1964–2017“: bis 9. 11., Kunstverein Wolfsburg
Helga Pape empfahl sich. Sie hatte 1961, als gerade 22-jährige Absolventin, den neu geschaffenen Kunstpreis „Junge Stadt sieht junge Kunst“, Bereich Grafik, gewonnen. Und sorgte indirekt für einen Kunstskandal: Arnulf Rainer übermalte eine ihrer Arbeiten noch während der Preisträgerausstellung – als „Akt der permanenten Verbesserung“. Der Österreicher wurde verhaftet, Papes Werk ist in der Sammlung der Städtischen Galerie Wolfsburg aber bis heute unter seinem Namen verzeichnet.
1967 folgte eine Einzelausstellung in den heutigen Räumen des Kunstvereins. Der existierte seit 1959, aber ohne eigenes Domizil, und übernahm 1968 die Ausstellungsflächen. Jetzt ist dort unter dem Titel „Energien. Werke 1964–2017“ eine Retrospektive einge richtet, mit 26 Arbeiten aus Papes über 50 Jahre umspannendem Schaffen. Vieles ist als Serie angelegt, „Das geheime Leben der Pflanzen“ von 1966 etwa, das bereits in der historischen Ausstellung vertreten war. Gleich daneben hängt „Torso“ von 1967, eine Zeichnung in Farbstift, die das Cover des damaligen Kataloges bildete.
Klaus Hoffmann (1934–2004), von 1972 bis 1997 Leiter des Kunstvereins – nicht verwandt mit dem jetzigen, Justin Hoffmann – subsumierte Helga Papes frühe Phase unter „Neue Ornamentik“. In den folgenden Jahren differenzierte sich Pape in viele künstlerische Ausdrucksformen, die immer aktuelle Kunstströmungen reflektierten. Ihren Techniken Grafik, Zeichnung und Malerei blieb sie treu. Justin Hoffmann sieht Helga Pape als diskursorientierte Künstlerin, Virtuosin in der Radierung und große Malerin, kurzum: die 85-Jährige ist die Grande Dame der regionalen Kunstszene.
In den 1970er-Jahren verfolgte Pape die fotorealistische Malerei. Ihr „Blauer Apfel“, gut einen Quadratmeter groß, hing einst prominent im Büro von VW-Vorstand Carl Hahn. In ähnlichen Formaten gibt es einen rot-grünen und einen roten Apfel sowie eine Gruppe grüner Birnen. In den 1970er-Jahren schlug sich eine mehrwöchige Reise durch Afghanistan in Zeichnungsserien und Malerei nieder, in den 1980er-Jahren vertiefte Pape die farbige Radierung. In den 1990ern wurden ihre Arbeiten dann sehr materialhaft: Auf grobem Rupfen sorgen Dispersion und Sand für Texturen, die an die Flächenarbeiten des Katalanen Antoni Tàpies erinnern. Ganz befreit kommt die Serie „Phänomene“ von 2014 daher: Wachs-Crayons und Pastellstifte lassen auf Schleifpapier Miniaturen entstehen, die vor Spontaneität und Expressivität sprühen.
Zur Persönlichkeit Helga Pape gehört auch ein 2007 gemeinsam mit ihrem Mann gestifteter Preis für Kurator:innen im deutschsprachigen Raum. Er erinnert an Justus Bier (1899–1990), von 1930 bis 1936 Direktor der Kestner Gesellschaft Hannover – und Jude. Nach 1933 hatte der, so lange es ging, das Fähnlein der künstlerischen Moderne hochgehalten.
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