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Die Gewalt in Syrien wird eher eskalieren„Die zivile Bewegung ist entscheidend“

Steht Syrien vor dem Ende der Gewalt? Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik rechnet eher mit Eskalation – nicht nur vonseiten des Assad-Regimes.

Nicht nur von Assad, auch seitens der Rebellen könnte eine Eskalation der Gewalt ausgehen. Bild: AP
Interview von Tom Strohschneider

taz: Nach über einem Jahr der Gewalt in Syrien hat Machthaber Assad einer Waffenruhe zugestimmt. Gibt es Grund zur Hoffnung?

Muriel Asseburg: Die Regierung in Damaskus hat zwar den Plan des Vermittlers der UN und der Arabischen Liga, Kofi Annan, akzeptiert und angekündigt, bis zum 10. April das Militär aus den umkämpften Städten abzuziehen und die Waffenruhe einzuhalten. Aber ich habe wenig Hoffnung, dass dies auch tatsächlich geschieht.

Womit rechnen Sie stattdessen?

Mit einer weiteren Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzung – vor allem, aber nicht ausschließlich vonseiten des Regimes. Man sollte nicht übersehen, dass beim Treffen der sogenannten Freunde Syriens letzte Woche in Istanbul massive finanzielle Unterstützung für Opposition und Rebellen zugesagt wurde. Im Gespräch sind 100 Millionen Dollar, die unter anderem für den Sold von Überläufern eingesetzt werden sollen. Das befördert nicht gerade das Ende der militärischen Konfrontation.

Entspricht dies nicht auch der Skepsis, dass Assad es mit der Waffenruhe kaum ernst meint?

Das Misstrauen ist gerechtfertigt. Die Frage ist aber: Was bringt die Ausstattungshilfe? Es wird kaum gelingen, die Rebellen so weit aufzurüsten, dass sie die reguläre syrische Armee tatsächlich besiegen oder die Bevölkerung effektiv schützen können. Und diejenigen, die militärische oder logistische Unterstützung für die Rebellen beschlossen haben, stellen sich damit in Widerspruch zum Annan-Plan, den sie angeblich unterstützen.

Bild: Archiv
Im Interview: Muriel Asseburg

leitet seit Oktober 2006 die Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik, welche unter anderem die Bundesregierung berät.

Die Militärhilfe wurde von den Golfstaaten ins Spiel gebracht. Welche Interessen haben die Scheichs?

Es liegt auf der Hand, dass es Katar und Saudi-Arabien nicht um demokratischen Wandel, Menschenrechte und die syrische Zivilbevölkerung geht. Ihre Hauptmotivation ist, Syrien als Einfallstor des Iran in die arabische Welt zu schließen. Teherans Einfluss in der Region soll eingedämmt, die „Geländegewinne“, die der Iran seit der Invasion der USA im Irak erzielt hat, sollen rückgängig gemacht werden. Konfessionelle und regionalpolitische Interessen stehen für die arabischen Golfstaaten klar im Vordergrund.

Schiiten gegen Sunniten: Läuft in Syrien ein Stellvertreterkrieg?

Es besteht die Gefahr, dass sich der Konflikt zu einem solchen entwickelt. Aber man darf dabei nicht den Ursprung des Konflikts aus den Augen verlieren, der ein genuin syrischer ist, nämlich der Protest gegen das autoritäre Assad-Regime. An seinem Anfang stand eine zivile Protestbewegung, deren Widerstand trotz der Repression des Regimes seit nun über einem Jahr anhält und die nichts mit den Interessen in Katar oder Saudi-Arabien zu tun hat. Wenn es um den Aufbau eines neuen Syriens geht, dann ist die zivile Bewegung entscheidend – nicht die Rebellen.

Nach langem Streit rückt die internationale Gemeinschaft nun ein bisschen enger zusammen. Ein Paradigmenwechsel?

Den sehe ich nicht. Annan hat es zwar geschafft, China und Russland mit ins Boot zu holen und so die Sicherheitsratsmitglieder hinter sich zu einen. Das ist zweifellos ein wichtiger Fortschritt. Nun wird auch Moskau Assad daran messen, ob er den Annan-Plan umsetzt oder nicht. Nach wie vor gibt es aber keine Einigkeit über weiter gehende Schritte.

Warum ändert Moskau seinen Kurs?

Um den politischen Schaden zu begrenzen. Russland würde aufseiten des Assad-Regimes in die Isolation mit hineingezogen. Das stünde nicht zuletzt dem vor allem wirtschaftlich begründeten Interesse Moskaus entgegen, die Beziehungen zu den Golfstaaten auszubauen.

Hätte Russland nicht früher in eine diplomatische Front gegen Assad eingebunden werden können?

Nicht nur deutsche Vertreter haben versucht, auf Russland zuzugehen. Vielleicht hätte man das noch stärker tun können. Aber der Spielraum dafür war sehr begrenzt. Moskau ist lange davon ausgegangen, dass sich das Assad-Regime wieder konsolidiert. Als diese Einschätzung nicht mehr begründet war, hat Moskau seine Position angepasst.

Hat der Westen eine Mitverantwortung für das Andauern der Gewalt?

Ich sehe keine realistischen Optionen, die die westlichen Regierungen gehabt hätten, um die Gewalt zu beenden. Eine Militärintervention in Syrien etwa hätte wenig Aussicht, zu einer Beruhigung der Lage beizutragen, und dürfte im Gegenteil die Opferzahlen weiter in die Höhe treiben. Ein verhandelter Übergang wäre sicherlich die beste Option, wird aber vom Regime abgelehnt. Es bleibt also nur, den Druck auf das Regime auf diplomatischem Wege zu erhöhen. Das hätte sicher noch konsequenter erfolgen können. Aber diplomatische Prozesse und das Aufbauen von internationalem Druck brauchen Zeit – so weh das tut, wenn zugleich Menschen sterben und leiden.

Wie bewerten Sie die Rolle der Bundesregierung in dem Konflikt?

Die Bundesregierung hat sehr früh versucht, eine diplomatische Lösung voranzutreiben. Sie hat dann zunehmend einen Schwerpunkt auf die Verbesserung der humanitären Lage in Syrien gelegt. Ein zweiter Schwerpunkt der Berliner Außenpolitik liegt darin, die Opposition in der notwendigen internen Konsolidierung zu unterstützen, sie handlungsfähig zu machen.

Dabei geht es auch darum, für den Syrischen Nationalrat als Vertretung der Opposition eine Formel zu finden, in der sich auch andere Oppositionsgruppen wiederfinden – also um das Ende des kontraproduktiven Dauerstreits unter den Assad-Gegnern. Und drittens arbeitet die Bundesregierung darauf hin, gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Führungsrolle beim wirtschaftlichen Wiederaufbau Syriens in der Zeit nach Assad zu übernehmen.

Sind Berlin also ökonomische Interessen wichtiger als der demokratische Wandel?

Nein. Die Wirtschaft wird ein zentraler Pfeiler für eine demokratische Zukunft Syriens sein.

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2 Kommentare

 / 
  • A
    Ant-iPod

    Sehr geehrte Frau Asseburg,

     

    vielen Dank für Ihre sicherlich fachlich fundierten Einschätzungen.

    Viele davon klingen plausibel - mich aber stört eines:

    Sie sagen, politischer Druck brauche Zeit und es tue weh, wenn Menschen derweil sterben. Das halte ich für heuchlerisch:

    Als wir (EU) ein Ölembargo gegen Syrien verhängt haben, wurde dessen Wirksamkeit um Monate verzögert, da Italien laufende Verträge mit Syrien hatte - sozusagen Blut für Öl. Das ist nicht schmerzhaft, das ist Beihilfe zum Mord.

     

    Die Firma Siemens hat einen 300 Millionen Euro schweren Vertrag für Kraftwerkstechnik in Syrien abgeschlossen, lange nachdem die Menschen demonstrieren gegangen sind und dafür zusammengeschossen wurden. Wo war hier der politisch gesetzte Einhalt, den die Bundesregierung problemlos hätte setzen können?

    Warum verbietet die EU nicht jegliche Finanztransaktion der syrischen Banken und unterbindet jegliches Geschäft mit allen, die weiterhin mit Syrien Handel betreiben?

     

    Hier hätte längst und könnte noch immer zeitnah und mit verheerenden Konsequenzen für die syrische Wirtschaft, politisch gehandelt werden, ohne die FSA aufzurüsten.

    Dies geschieht aber nicht - und solange dies nicht geschieht, sollte sich hier niemand damit brüsten, er würde ja ach so aktiv für die Freiheit und das syrische Volk eintreten.

     

    Wir reden von einem diktatorischen Regime, welches umfassend von Moskau mit Waffen und Munition versorgt wurde, um sich mit Gewalt an der Macht zu halten. Unsere Untätigkeit ermutigt das Regime.

     

    SA und Katar mögen eine ganz eigene Agenda haben - wobei ich Ihre Einschätzung nicht en Detail teile - aber die haben zumindest eines erkannt:

    Wenn wir das Regime behalten wollten, dann müssen wir es direkt unterstützen.

    Wenn wir es absetzen wollen, dann müssen diese beiden dies mit Geld für mehr Deserteure und ggf. mehr Waffen - sofern verfügbar - unterstützen. Ohne den ökonomischen Druck, den die USA und die EU offensichtlich nicht ausüben wollen - und ein umfassendes Embargo habe ich hier noch gar nicht erwägt - muss man die Mittel wählen, die übrig bleiben.

     

    Dies führt zur Eskalation des Konflikts und wir wissen dies - gerade Ihr Institut weiß das sehr genau, denn Sie sind die Fachleute, welche unsere Regierung diesbezüglich beraten.

     

    Warum also bleiben Sie die Antwort schuldig, mit welchem Interesse wir hier erwirken, dass SA und Katar den Konflikt gewaltsam eskalieren werden, wie kürzlich in Istanbul beschlossen?

     

    Wir können nicht so tun, als ginge uns dies nichts an, wenn es doch unsere - auch Deutsche - Politik ist, welche eine Eskalation fördert.

     

    In diesem Punkt, haben mich Ihre Aussagen enttäuscht.

     

    mfG

    Ant-iPod

  • TH
    Thomas Hemberger

    Der syrische Nationalrat vertritt lediglich einen Teil der syrischen Exil-Opposition, die durch den eskallierenden Bürgerkrieg zunehmend von den diversen Oppositionskräften im Innern Syriens abgeschnitten ist.

     

    Innerhalb Syriens schließen sich nun immer mehr der zivilen Oppositionskräfte der Free Syrian Army (FSA) an, da bedingt durch die extrem brutale und willkürliche Repression des Assad-Regimes keinerlei Spielraum mehr für zivilen und friedlichen Widerstand innerhalb Syriens gegeben ist.

     

    Es hat sich eine vernetzte, organisierte und zunehmend effektiver koordinierte und besser bewaffnete Guerilla gegen das Assad-Regime gebildet, die inzwischen autark und aus eigener Kraft heraus teilkontrollierte bis befreite Zonen in den syrischen Provinzen und Städten freikämpft, die eine zunehmende Zahl von Überläufern in ihre anwachsende Guerilla integriert, und die zivile Proteste (meist nur noch anlässlich von Beerdigüngszügen für getötete "Märtyrer der Revolution") immer wirkungsvoller flankierend absichern und beschützen kann.

     

    Die Formen des Widerstands vermischen sich also, wobei der Schwerpunkt notwendigerweise mehr zum bewaffneten Widerstand übergeht.

     

    Die Einschätzung von Frau Asseburg, wonach der unbewaffnete zivile Protest gegen das massenmörderisch und zunehmend genozidal agierende Assad-Regime am Bedeutendsten sei, halte ich für etwas weltfremd, da mittlerweile jedweder friedliche Protestversuch von den Regimekräften in Blutbädern erstickt wird.

     

    Unter den gegebenen traurigen Bedingungen in Syrien kann allein ein immer stärkerer bewaffneter Widerstand die entfesselten Regimekräfte zurückdrängen und somit Menschenleben retten.

     

    Um einen letztendlich erfolgreichen abnutzenden Guerillakrieg gegen die jetzt schon dauergestressten und mehr und mehr demoralisierten Regimekräfte zu führen, ist die FSA als Hauptkraft des breiten innersyrischen Volkswiderstands m.E. durchaus das richtige und geeignete Instrument.