Die Gewalt in Syrien wird eher eskalieren: „Die zivile Bewegung ist entscheidend“
Steht Syrien vor dem Ende der Gewalt? Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik rechnet eher mit Eskalation – nicht nur vonseiten des Assad-Regimes.
taz: Nach über einem Jahr der Gewalt in Syrien hat Machthaber Assad einer Waffenruhe zugestimmt. Gibt es Grund zur Hoffnung?
Muriel Asseburg: Die Regierung in Damaskus hat zwar den Plan des Vermittlers der UN und der Arabischen Liga, Kofi Annan, akzeptiert und angekündigt, bis zum 10. April das Militär aus den umkämpften Städten abzuziehen und die Waffenruhe einzuhalten. Aber ich habe wenig Hoffnung, dass dies auch tatsächlich geschieht.
Womit rechnen Sie stattdessen?
Mit einer weiteren Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzung – vor allem, aber nicht ausschließlich vonseiten des Regimes. Man sollte nicht übersehen, dass beim Treffen der sogenannten Freunde Syriens letzte Woche in Istanbul massive finanzielle Unterstützung für Opposition und Rebellen zugesagt wurde. Im Gespräch sind 100 Millionen Dollar, die unter anderem für den Sold von Überläufern eingesetzt werden sollen. Das befördert nicht gerade das Ende der militärischen Konfrontation.
Entspricht dies nicht auch der Skepsis, dass Assad es mit der Waffenruhe kaum ernst meint?
Das Misstrauen ist gerechtfertigt. Die Frage ist aber: Was bringt die Ausstattungshilfe? Es wird kaum gelingen, die Rebellen so weit aufzurüsten, dass sie die reguläre syrische Armee tatsächlich besiegen oder die Bevölkerung effektiv schützen können. Und diejenigen, die militärische oder logistische Unterstützung für die Rebellen beschlossen haben, stellen sich damit in Widerspruch zum Annan-Plan, den sie angeblich unterstützen.
leitet seit Oktober 2006 die Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik, welche unter anderem die Bundesregierung berät.
Die Militärhilfe wurde von den Golfstaaten ins Spiel gebracht. Welche Interessen haben die Scheichs?
Es liegt auf der Hand, dass es Katar und Saudi-Arabien nicht um demokratischen Wandel, Menschenrechte und die syrische Zivilbevölkerung geht. Ihre Hauptmotivation ist, Syrien als Einfallstor des Iran in die arabische Welt zu schließen. Teherans Einfluss in der Region soll eingedämmt, die „Geländegewinne“, die der Iran seit der Invasion der USA im Irak erzielt hat, sollen rückgängig gemacht werden. Konfessionelle und regionalpolitische Interessen stehen für die arabischen Golfstaaten klar im Vordergrund.
Schiiten gegen Sunniten: Läuft in Syrien ein Stellvertreterkrieg?
Es besteht die Gefahr, dass sich der Konflikt zu einem solchen entwickelt. Aber man darf dabei nicht den Ursprung des Konflikts aus den Augen verlieren, der ein genuin syrischer ist, nämlich der Protest gegen das autoritäre Assad-Regime. An seinem Anfang stand eine zivile Protestbewegung, deren Widerstand trotz der Repression des Regimes seit nun über einem Jahr anhält und die nichts mit den Interessen in Katar oder Saudi-Arabien zu tun hat. Wenn es um den Aufbau eines neuen Syriens geht, dann ist die zivile Bewegung entscheidend – nicht die Rebellen.
Nach langem Streit rückt die internationale Gemeinschaft nun ein bisschen enger zusammen. Ein Paradigmenwechsel?
Den sehe ich nicht. Annan hat es zwar geschafft, China und Russland mit ins Boot zu holen und so die Sicherheitsratsmitglieder hinter sich zu einen. Das ist zweifellos ein wichtiger Fortschritt. Nun wird auch Moskau Assad daran messen, ob er den Annan-Plan umsetzt oder nicht. Nach wie vor gibt es aber keine Einigkeit über weiter gehende Schritte.
Warum ändert Moskau seinen Kurs?
Um den politischen Schaden zu begrenzen. Russland würde aufseiten des Assad-Regimes in die Isolation mit hineingezogen. Das stünde nicht zuletzt dem vor allem wirtschaftlich begründeten Interesse Moskaus entgegen, die Beziehungen zu den Golfstaaten auszubauen.
Hätte Russland nicht früher in eine diplomatische Front gegen Assad eingebunden werden können?
Nicht nur deutsche Vertreter haben versucht, auf Russland zuzugehen. Vielleicht hätte man das noch stärker tun können. Aber der Spielraum dafür war sehr begrenzt. Moskau ist lange davon ausgegangen, dass sich das Assad-Regime wieder konsolidiert. Als diese Einschätzung nicht mehr begründet war, hat Moskau seine Position angepasst.
Hat der Westen eine Mitverantwortung für das Andauern der Gewalt?
Ich sehe keine realistischen Optionen, die die westlichen Regierungen gehabt hätten, um die Gewalt zu beenden. Eine Militärintervention in Syrien etwa hätte wenig Aussicht, zu einer Beruhigung der Lage beizutragen, und dürfte im Gegenteil die Opferzahlen weiter in die Höhe treiben. Ein verhandelter Übergang wäre sicherlich die beste Option, wird aber vom Regime abgelehnt. Es bleibt also nur, den Druck auf das Regime auf diplomatischem Wege zu erhöhen. Das hätte sicher noch konsequenter erfolgen können. Aber diplomatische Prozesse und das Aufbauen von internationalem Druck brauchen Zeit – so weh das tut, wenn zugleich Menschen sterben und leiden.
Wie bewerten Sie die Rolle der Bundesregierung in dem Konflikt?
Die Bundesregierung hat sehr früh versucht, eine diplomatische Lösung voranzutreiben. Sie hat dann zunehmend einen Schwerpunkt auf die Verbesserung der humanitären Lage in Syrien gelegt. Ein zweiter Schwerpunkt der Berliner Außenpolitik liegt darin, die Opposition in der notwendigen internen Konsolidierung zu unterstützen, sie handlungsfähig zu machen.
Dabei geht es auch darum, für den Syrischen Nationalrat als Vertretung der Opposition eine Formel zu finden, in der sich auch andere Oppositionsgruppen wiederfinden – also um das Ende des kontraproduktiven Dauerstreits unter den Assad-Gegnern. Und drittens arbeitet die Bundesregierung darauf hin, gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Führungsrolle beim wirtschaftlichen Wiederaufbau Syriens in der Zeit nach Assad zu übernehmen.
Sind Berlin also ökonomische Interessen wichtiger als der demokratische Wandel?
Nein. Die Wirtschaft wird ein zentraler Pfeiler für eine demokratische Zukunft Syriens sein.
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