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■ Die Genfer Bosnien-Verhandlungen sind abgebrochenBosnien vor dem Chaos

Nun wird in den Hauptstädten der EG, Rußlands und der USA Bedauern und Enttäuschung über den Abbruch der Genfer Bosnien-Konferenz geäußert. Es ist pure Heuchelei. Moskau hat während der gesamten Bosnien-Konferenz jeglichen effektiven Druck auf die serbische Seite zu verhindern gewußt. Für Washington hatte das gute Verhältnis zu Moskau stets Vorrang vor dem Überlebensrecht von ein paar hunderttausend europäischen Muslimen. Auch den EG-Regierungen sind die leidenden Menschen – ob nun Muslime, Serben oder Kroaten – herzlich egal. Viel wichtiger war der Streit um Einflußzonen auf dem Balkan, in den sich vor allem Großbritannien, Deutschland und Frankreich verhakten.

Während Rußland aus seinen Sympathien für die serbische Seite selten einen Hehl machte, betrieben die USA und die EG-Staaten seit Monaten ein mieses Doppelspiel. Öffentliche Sympathiebekundungen für die bosnischen Muslime – und hinter verschlossenen Türen wurde Präsident Izetbegović von Vertretern der Clinton-Administration und der EG massivst unter Druck gesetzt und schließlich Ende Juli dazu gezwungen, das Konzept eines multikulturellen Gesamtbosniens aufzugeben und vor dem serbisch-kroatischen Dreiteilungsultimatum zu kapitulieren. Daß der Westen danach nicht einmal die Minimalbedingungen für eine politisch und wirtschaftlich überlebensfähige bosnisch-muslimische Teilrepublik zu garantieren bereit war, ist auch den Serben und Kroaten nicht entgangen. Sie konnten es sich daher leisten, hart zu bleiben. Das mußte zwangsläufig zum Zusammenbruch der Genfer Verhandlungen führen.

Daß das Ende von Bosnien-Herzegowina, die Zerstörung der multikulturellen Metropole Sarajevo tiefgreifende Folgen für ganz Europa haben wird – diese Dimension der bosnischen Tragödie haben die EG- Regierungen noch immer nicht wirklich begriffen. Man glaubte in Bonn, London, Paris oder Brüssel offenbar, mit einem den Muslimen aufgezwungenen Abkommen das Thema Bosnien abhaken zu können. Doch hätte sich das als eine große Illusion herausgestellt. Ohne ein Abkommen aber wird das Thema Bosnien nun erst recht nicht von der europäischen Tagesordnung verschwinden. Zunächst einmal dürfte der Krieg in Bosnien-Herzegowina nach dem Abbruch der Genfer Verhandlungen wieder eskalieren. Das Land könnte endgültig im Chaos versinken. Die Zahl der bosnischen Flüchtlinge wird, zumal in vier bis sechs Wochen in Bosnien der Winter beginnt, steigen. Und die Gefahr einer Ausweitung der bewaffneten Konflikte auf den Kosovo, Albanien, Mazedonien und auch wieder Kroatien ist nun größer denn je zuvor. Bei aller notwendigen scharfen Kritik an den Genfer Bosnien-Verhandlungen und an der skandalösen Verhandlungsführung vor allem von EG-Vermittler Owen: Der Abbruch der Verhandlungen dürfte sich schon bald als das größere Übel erweisen. Andreas Zumach, Genf

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