Die Gema will Geld: Der Tod der YouTube-Disco
Die Gema und Youtube können sich nicht über Lizenzgebühren einigen. Morgen entscheidet das Landgericht Hamburg über die Sperrung von 600 weiteren Musikvideos.
Nie war die Musik so nah. Nicht weiter entfernt als einen Link, einen Klick oder ein paar Buchstaben. YouTube sei Dank. Auf einer Party hat keiner den Track dabei, der gerade am besten passt? Einfach den Titel eingeben und schon beginnt die YouTube-Disco. 35 Grad Celsius im Büro? Statt eines Kommentars schickt man schnell einen Song an überhitzte Leidensgenossen. Mal wieder mit seiner neusten musikalischen Entdeckung angeben wollen? Ein Tweet genügt.
Wenn es nach der Musikverwertungsgesellschaft Gema geht, werden ab Freitag 600 YouTube-Musikvideos weniger abrufbar sein. An diesem Tag entscheidet das Landgericht Hamburg über eine einstweilige Verfügung, in der die Gema Ende Juli forderte, dass YouTube diese Videos für deutsche Nutzer sperren muss. Denn nach Darstellung der Gema nutzt YouTube diese Werke "illegal". Hintergrund des Streits: Seit über einem Jahr versuchen beide Seiten vergeblich, eine neue Lizenzvereinbarung miteinander auf die Beine zu stellen.
Keine Peanuts
600 Videos? Klingt wie Peanuts angesichts der Fülle von Filmen und Versionen, die YouTube zu bieten hat. Schließlich werden hier Schätzungen zufolge jede Minute 24 Stunden neues Videomaterial weltweit eingestellt. Gleichzeitig sind bereits heute zahlreiche Videos bei YouTube unerreichbar - pink auf schwarz erscheint die Meldung "Dieses Video ist in Deinem Land leider nicht verfügbar". Weil dies sowohl auf den Lizenzstreit mit der Gema als auch auf Vereinbarungen von YouTube mit den großen Plattenfirmen zurückgehen kann, ist unklar, wie viele Musikvideos YouTube tatsächlich aufgrund der fehlenden Lizenzvereinbarung mit der Gema bereits vom Netz genommen hat.
Dennoch: Wenn das Hamburger Gericht am Freitag zugunsten der Gema entscheidet, würde das die rechtliche Grundlage bieten, zehntausende weitere Videos zu sperren. Zumindest theoretisch. Wie das Urteil ausfallen wird, halten selbst Experten wie der Medienanwalt Till Kreutzer für schwer prognostizierbar: "Das Gericht hat jedenfalls - indem es die Entscheidung nicht schon bei der Verhandlung vor ein paar Wochen getroffen hat - signalisiert, dass es sich die Entscheidung nicht leicht macht."
Im Kern geht es bei dem Streit darum: Die Gema möchte für die Komponisten, Songtexter und Musikverleger, die sie vertritt, mehr Geld von der Google-Tochter YouTube. Seit dem Start von YouTube Deutschland 2007 gab es eine Vereinbarung, bei der die Videoplattform den Rechteverwertern einen Pauschalbetrag überwies und dafür die Musik aller von der Gema vertretenen Künstler verbreiten durfte. Diese Vereinbarung ist Ende März 2009 ausgelaufen, alle Verhandlungen darüber, wie es zwischen dem Rechteverwerter und dem deutschen YouTube-Ableger weitergehen soll, scheiterten. Künftig will die Gema pro angesehenem Clip bezahlt werden und fordert dazu detaillierte Nutzerstatistiken, die YouTube nicht herausgeben will. Die Gema selbst gab vor einem Jahr an, 1 Eurocent pro angesehenem Clip verlangt zu haben, Google zufolge soll sie 12 Cent pro Clip gefordert haben. Beide Summen werden von Google-Sprechern seitdem immer wieder als "völlig inakzeptabel" zurückgewiesen. Patrick Walker, YouTube-Director für Videopartnerschaften in Europa, sagte netzwelt.de im Mai 2010, als die Gema die Verhandlungen abbrach, man könne nicht erwarten, dass YouTube sich in ein Geschäft begibt, bei dem es bei jedem Abruf eines Musikvideos Geld verliert.
Wo die Verhandlungen stecken blieben, ist allerdings unklar - denn YouTube und Gema haben Stillschweigen darüber vereinbart, was sie genau aushandeln. Und so tappt die gesamte On- und Offline-Welt in der tatsächlichen Bewertung des Streites mehr oder weniger im Dunkeln. In Großbritannien, wo man sich nach zähen Ringen mit der dortigen Verwertungsgesellschaft PRS einigte, zahlt YouTube nach eigenen Angaben allerdings nur einen Bruchteil dessen, was die Gema fordert.
Im Mai 2010 ging die Gema in die Offensive, schloss sich mit acht Musikautorengesellschaften aus Frankreich, den USA und anderen Ländern zusammen und forderte, die 600 Musikvideos, um die es am Freitag vor Gericht geht, vom Netz zu nehmen - weil YouTube sie ohne vertragliche Regelung bereitstellt. Schließlich, so argumentiert die Gema, hätten die von ihr vertretenen Künstler ein Jahr lang keine Tantiemen für das Abspielen von YouTube-Musikvideos mehr gesehen. Die Botschaft ist klar: Der Gema, die nach dem Zusammenschluss mit den ausländischen Rechteverwertern bei 60 Prozent aller Musikstücke Mitspracherecht hat, möchte vor dem super-erfolgreichen Onlineportal nicht klein beigeben. Ein Dejà-vu - auch bei Google Books, Google News und vielen anderen Diensten im weitverzweigten Netzwerk des Suchmaschinen-Giganten ging es in den vergangenen Jahren immer wieder darum, warum einer - nämlich Google - damit reich werden soll und die anderen nicht.
Bekäme die Gema am Freitag Recht, könnte sie auf Basis dieses Urteils sämtliche Werke ihrer Mitglieder von YouTube entfernen lassen - sofern diese das wollten, wie Gema-Vorstandsvorsitzender Harald Heker im Mai sagte. Und einräumte, dass man darauf "mit Blick auf die Bedürfnisse der Musiknutzer und Musikurheber" wohl verzichten wolle. Eine Aussage, an der die Gema auch kurz vor dem Urteil festhält. Denn auch sie weiß, dass sich auch die von ihr vertretenen Komponisten und Künstler nicht leisten können, bei YouTube einfach nicht mehr vorzukommen - schließlich hat es, gemeinsam mit den vielen anderen Musikstream-Seiten und Videoportalen, längst Radio und Musikfernsehen als Verbreitungsweg für Musik überholt.
Mächtiger Vertriebsweg
"Wer auf YouTube nicht gefunden werden kann, läuft Gefahr, für bestimmte, vor allem junge Zielgruppen unsichtbar zu werden", meint auch Medienanwalt Kreutzer. "Daher denke ich, dass die Gema mit dem Rechtsstreit eher bezweckt, Druck auf die vor einiger Zeit abgebrochenen Tarifverhandlungen mit Google auszuüben, um seine Position zu stärken." Kreutzer rechnet zudem damit, dass die Partei, die vor Gericht unterliegt, neue Prozesse anstreben wird.
"Nach meiner Ansicht scheint mir die Gema-Position zu wenig den Nutzen einer solchen Videoplattform auch für die Urheber und Musikverlage zu berücksichtigen", sagt Kreutzer weiter. Allein der Gema die Schuld an der jetzigen Situation zuzuweisen, hält er aber für zu einfach. Auch der vielgelesene Blogger und Ex-Musiker Johnny Haeusler hält bei aller Kritik an ihren Verteilungsverfahren eine Schuldzuweisung allein an die Gema für "zu kurzsichtig", wie er im Mai auf spreeblick.com schrieb. Eine Position, die bei Netznutzern nicht sonderlich verbreitet ist - ähnlich wie die GEZ und andere Geldeinsammelgesellschaften wird im Netz auch gegen die Gema leidenschaftlich polemisiert, gerade weil eben zahlreiche YouTube-Videos in Deutschland nicht verfügbar sind. Da hilft es wenig, wenn Gema-Pressesprecherin Bettina Müller betont: "Das hat nicht unbedingt etwas mit uns zu tun", und darauf verweist, dass auch Plattenlabels erwirken können, dass Werke ihrer Künstler bei YouTube nicht angesehen werden können.
So ist der Streit YouTube gegen Gema ein weiteres Beispiel dafür, wie es regelmäßig knirscht, wenn analoge Urheber- und Verwertungsrechte auf digitale Verbreitungsmechanismen treffen. Leidtragende sind alle, die einfach nur Musik im Netz hören wollen - nicht illegal herunterladen, sondern legal online. Natürlich findet man den gesuchten Song auch auf irgendeiner anderen Seite. Aber mal im Ernst - jedes Mal die Finger wund suchen nach dem Track, der jetzt gerade einfach am allerbesten passt? Das macht doch keinen Spaß. Und hat mit YouTube-Disco rein gar nichts mehr zu tun.
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