piwik no script img

Die G7 diskutiert das Modell USA

■ Die führenden Industrienationen beraten über Arbeitslosigkeit. Jacques Chirac schlägt einen "dritten Weg" zwischen Europas Sozialstaatlichkeit und der US-Deregulierung vor. Die Finanzminister fehlen

Lille (AFP/rtr/dpa) – Zum Auftakt des zweitägigen Beschäftigungsgipfels der sieben führenden Industrienationen (G7) im nordfranzösischen Lille hat der französische Präsident Jacques Chirac gestern die westlichen Industrienationen aufgefordert, ihren Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu verstärken.

Chirac plädierte für einen dritten Weg zwischen US-amerikanischem und europäischem Modell. Auf dem US-Arbeitsmarkt sind in den vergangenen Jahren mehrere Millionen Stellen entstanden – kurzfristige Arbeitsverhältnisse auf der Basis des Hire-and-fire zumeist. Allein im Februar nahm die Zahl der Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft in den USA um 705.000 zu, die Arbeitslosenquote lag bei 5,5 Prozent. Das ist deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt der G7, der bei 8,8 Prozent Arbeitslosigkeit liegt. Deutschland steht mit 11,8 Prozent an der Spitze, gefolgt von Italien (11,5 Prozent), Frankreich (11,3 Prozent) und Kanada (9,6 Prozent).

Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP), der gemeinsam mit Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) die Bundesrepublik in Lille vertritt, zeigte sich begeistert von den Ergebnissen der US-Politik. In den meisten europäischen Staaten steige die Arbeitslosigkeit „aufgrund mangelnder Flexibilität“ weiterhin an. „Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse des Hire-and-fire. Aber ich bin dafür, daß wir amerikanische Instrumente übernehmen“, sagte Rexrodt.

Und er führte auch gleich aus, was damit gemeint ist: Flexiblere Tarifverträge und eine „stärkere Lohndifferenzierung nach unten“. Zurückhaltend äußerte sich Rexrodt zu der Forderung von Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac nach einem „dritten Weg“. Hinter der Warnung vor einem „Sozialdumping“ durch zu flexible Arbeitsmarktregelungen versteckten sich häufig protektionistische Interessen. Durch Protektionismus werde das Problem der Arbeitslosigkeit aber nicht gelöst.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat von dem Ministertreffen konkrete Absprachen im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit gefordert. Lippenbekenntnisse reichten nicht aus, betonte Vize-DGB-Chefin Ursula Engelen-Kefer gestern im Deutschlandfunk. Als richtigen Weg gegen die Massenarbeitslosigkeit in den führenden Industriestaaten bezeichnete sie die in Deutschland bereits vereinbarten oder noch angestrebten „Bündnisse für Arbeit“. Rexrodt hatte zuvor in der Bild-Zeitung betont, in der von IG-Metall-Chef Klaus Zwickel vorgeschlagenen Form sei das Bündnis „tot“. Arbeitsplätze ließen sich „nicht auf Befehl von oben“ schaffen, sagte er. In Lille wurde sich Rexrodt dann unsicher über den klinischen Zustand des Bündnisses: Er sei nicht der Meinung, daß es „generell tot“ sei, sagte er dort. Das Bündnis könne als „Mammutveranstaltung“ nicht funktionieren, „aber auf der Basis der Vernunft, auf betrieblicher oder sektoraler Ebene ist das ein hervorragende Sache“.

Das zweitägige Treffen in Lille soll vor allem dem Erfahrungsaustausch dienen. Konkrete Beschlüsse werden nicht erwartet, zudem neben Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) auch fast alle anderen Finanzminister ihre Teilnahme abgesagt hatten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen