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■ „Die Frühling, da mach ich mir 'nen Schlitz ins Kleid Aktion“Singen für magersüchtige Kiddies

Drei Tage lang hat es ununterbrochen, doch milde geregnet. Dann kehrt mit der Sonne die Kälte des Winters zurück. Der Supermarkt zwei Straßen weiter hat damit nicht gerechnet. Jemand von denen hat „Die Frühling da mach ich mir 'nen Schlitz ins Kleid Aktion“ erfunden – ohne jegliches Zeichen zwischen den Wörtern, ohne Durchkopplungsbindestrich (Wahrig), ohne alles. Die Filialleiterin ist so stolz drauf oder so überzeugt von der Botschaft, daß sie jeden Kubikmeter Luftraum ihres Ladens mit Schildern vollgehängt hat, deren Aufschrift von der „Frühling da mach ich mir 'nen Schlitz ins Kleid Aktion“ künden. Oder war sie, die Filialleiterin, schlicht an die Weisungen von der Zentrale gebunden? Wahrscheinlich. Aber was bleibt, stiften die Werbetexter; was bleibt, ist die ausgesprochen griffige Formulierung; was bleibt, ist „Die Frühling da mach ich mir 'nen Schlitz ins Kleid Aktion“.

„Da nehm' ich mein' Hut ab“, dachte ich kongenial, „besser geht's nicht.“ Besser nicht und länger nicht, aber schlimmer.

Das Schlimmere stand auf der sogenannten Szene-Seite der hiesigen Lokalausgabe der Bild-Zeitung. Indem ich von dem Vorfall berichte, habe ich nicht die Absicht, in das tranige Geheul einzufallen, das hin und wieder über die Anglifizierung der deutschen Sprache angestimmt wird. Es stürbe, das Deutsche, und wenn doch nicht, dann verarme es jedenfalls, die Kommunikation sowieso. Und daß die Dreijährigen schon im Kindergarten alles cool finden, sei mehr als bedenklich. Letzteres stimmt aber gar nicht. Sie finden nicht alles cool, sondern nur, was wirklich cool ist.

Richtig aber ist: Das böse Amerika einesteils und Weltläufigkeit wie Phantasiebegabung der Deutschen auf der anderen Seite passen anscheinend so gut zusammen, daß es sogar Handy heißen muß statt Mobiltelefon, obwohl der Angelsachse mit dem Ausdruck Handy wenigstens im Bereich der Telekommunikation überhaupt nichts anfangen kann. Meinetwegen sollen sie doch alle telefonieren, der eine mit dem Handy, die andere mit dem Mobile. Solange sie einander nichts zu sagen haben, kann eigentlich nicht viel schiefgehen.

Längst hat sich außerdem im Zeichen der allumfassend zwingenden und erzwungenen Geschmeidigkeit das englische Wort „Kids“ für Kinder weitgehend durchgesetzt. Es scheint dem offenen Ohr der Deutschen flotter zu klingen, womöglich sogar juveniler und niedlicher zugleich, auf jeden Fall frecher und insgesamt lockerer. Wer von Kids spricht, gehört mental irgendwie selbst noch zur jüngeren Generation, weil er aufgeschlossen ist, mit der Zeit geht und überhaupt für jeden Fun zu haben ist. Will man noch eins drauflegen, sagt man Kiddies, ein Wort, das sich auch und gerade, trotzdem oder gerade weil für diejenigen empfiehlt, die ihrer Fürsorgepflicht im Alltag betont souverän und unangestrengt nachkommen. Eigenartig übrigens, daß der Singular kaum benutzt wird. Vom Kid hört man selten, fast nie, was möglicherweise daran liegt, daß das Kid phonetisch mit dem Stoff identisch ist, mit dem man die Fensterfugen abdichtete, bevor das Thermopane-Zeitalter begann.

In der Bild-Zeitung war nun zu erfahren, daß niemand anderes als Michael Jackson ein Benefizkonzert plane für „hungernde Kids in Nordkorea“. „Hungernde Kids“, das hört sich irgendwie an, als ob sie freiwillig hungern oder Spaß daran haben. Das hört sich eher nach Magersucht an als nach fernöstlicher Schweinediktatur samt globalkapitalistisch fundiertem Unrechtsverhältnis. „Hungernde Kids“ – dazu fiel mir noch etwas ein, aber der Rioja für vier neunundneunzig aus der „Frühling da mach ich mir 'nen Schlitz ins Kleid Aktion“ war ausverkauft. Dietrich zur Nedden

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