: „Die ,Fatwa‘ muß aufgehoben werden“
■ Einen aufschlußreichen Einblick in das Denken der „Fatwa“-Anhänger gibt einer der führenden britischen Moslems und Vertreter des „gemäßigten Flügels“ im britischen 'Observer‘ vom 9.12.1990: Hesham El-Essawy, von Beginn an gegen das Buch engagiert, beschreibt seinen Kontakt mit Salman Rushdie. Auszüge DOKUMENTATION
Im mehreren Telephongesprächen befragte El- Essawy Rushdie über sein Verhältnis zur Religion, zum Propheten und zum Islam. „Ich wollte ihn nicht zum Islam bekehren, sondern nur seine Sichtweise verstehen. Aber ich muß zugeben, daß seine Bekehrung mein geheimer Wunsch war — nicht um meinet-, sondern um seinetwillen; denn wenn er sich bekehren ließe, fiele die äußerst wackelige Begründung der ,Fatwa‘ in sich zusammen.“
Im Verlauf der Gespräche, die der Autor der Satanischen Verse selbst in die Wege geleitet hatte, wird Rushdie mit der klassisch agnostischen Position zitiert: „Nein, ich habe keinen speziellen Glauben (any formal belief), aber ebensowenig kann ich jeden Glauben leugnen (dismiss belief). Auf dem Grund der Dinge existiert ein unerklärtes Mysterium (...); es ,Gott‘ zu nennen erscheint mir ebenso plausibel wie eine wissenschaftliche Erklärung.“ Das genügte El-Essawy nicht. „Im nächsten Gespräch versuchte ich herauszufinden, wieviel Rushdie über den Islam überhaupt wußte. Und während dieses Gesprächs wurde mir etwas sehr wichtiges klar. Rushdie kam mit dreizehn Jahren in dieses Land. Er hatte nie die Chance, ein Moslem zu sein, er wurde nicht islamisch erzogen. Er besuchte nie eine moslemische Schule, die ihm Antworten auf seine Fragen hätte geben können. Intellektuell betrachtet wuchs Rushdie vermutlich in einer Atmosphäre von säkularisiertem Humanismus auf. Er ist kein untreuer Moslem — er bewegt sich im Gegenteil auf den Islam zu. Das ist der Punkt. Wie immer wir zu der ,Fatwa‘ stehen, theologisch ist sie bei Rushdie unbegründet. Denn um ein Abtrünniger zu sein, hätte er jemals glauben müssen, und er war nie gläubig. Meiner Ansicht nach ist er es heute. Die ,Fatwa‘ muß aufgehoben werden.
In der anschließenden Diskussion schlug ich ihm vor, sich von den Satanischen Versen loszusagen. Er weigerte sich. Ich verstand erst später warum. Nur indem er sein Buch verteidigt, kann Rushdie sich selbst verteidigen.
Er gibt zu, daß eine Lesart des Buches zu schweren Kränkungen führen kann, aber es gebe schließlich auch andere Lesarten. All die Beleidigungen resultierten aus dem Traum einer Person, die verrückt wird. Für ihn sind diese Dinge nicht real. Man kann von einer verrückten Person nicht erwarten, daß sie vernünftige Dinge sagt. Ich bin nun bereit zuzugestehen, daß Rushdie den Islam selbst nie angreifen wollte.
(...) Ich glaube, daß diese Kontroverse bald zu einer befriedigenden Lösung führt. Wir haben eine Menge gelernt, und es gibt eine Menge zu verarbeiten, aber wir müssen dafür sorgen, daß so etwas nie wieder geschieht.“ Übersetzung: es
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