■ Die Europäische Union ist ein prima Arbeitgeber: Warum schwimmen Eiswürfel?
Brüssel (taz) – Von C. Northcote Parkinson, dem Entdecker der Gesetzmäßigkeit, nach der sich Verwaltungen auch ohne Aufgaben ständig vergrößern, stammt der Rat, daß eine gute Stellenausschreibung so verfaßt sein muß, daß sich nur ein einziger Bewerber meldet. Der geeignete eben.
Leider wird C. Northcote Parkinson von der Europäischen Kommission seit 36 Jahren beharrlich ignoriert. Die jüngste Ausschreibung (im Dezember) war so ungeschickt formuliert, daß sich für lediglich 400 Plätze für den gehobenen Dienst über 55.000 Bewerber meldeten. Die Reisekosten für die Kandidaten gehen in die Millionen. Damit sie nicht völlig ausufern, wurden die Vorprüfungen auf 29 europäische Städte verteilt. 700 Aufpasser hatte Brüssel zu diesem Zweck losgeschickt. In Deutschland wurde in Bonn, Berlin, Hannover und Nürnberg mitgemacht.
Dem zuständigen Beamten in der Europäischen Kommission ist der starke Zulauf ein bißchen peinlich, nicht wegen Parkinson, sondern weil er als Indiz verstanden werden könnte, daß es mit der freien Wirtschaft in der EU zur Zeit nicht so gut läuft. Dabei hat er fast alles versucht, um den Ansturm klein zu halten. In jedem der zwölf Länder wurde nur in einer einzigen Zeitung eine einzige Anzeige aufgegeben. Weniger geht nicht, rechtfertigt er sich.
Aber vor allem in Italien, wo die Arbeitslosigkeit besonders drückt, haben sich kleine Verlage darauf spezialisiert, Zeitungen nach solchen internationalen Anzeigen zu filzen und gesammelt als Broschüren der Hoffnung auf den Markt zu werfen. Im letzten Jahr kam ein Drittel der Bewerber aus Italien. Unter den Siegern, die nach der dritten Prüfungsstufe übrigblieben, war immerhin noch jeder fünfte ein Italiener.
Das letzte Massenspektakel im Dezember war nur der lockere Auftakt. Wer weiß, wie viele Könige es in der Europäischen Union gibt, warum Eiswürfel schwimmen oder welcher Vertrag in der Montego Bay unterschrieben wurde, kann sich schon mal auf die schriftlichen Tests im März vorbereiten und den nächsten September für die mündliche Prüfung vormerken. Die vierhundert Sieger bekommen dann ein blaues Trikot mit Sternenkranz und der freundlichen Mitteilung, daß sie sich für europäische Aufgaben bereit halten sollen.
Manche halten sich seit Jahren bereit. Die Europäische Union geht schließlich verantwortungsvoll mit unserem Geld um und stellt nur nach Bedarf ein. Erst wenn irgendwo ein Schreibtisch frei wird, schlägt die Stunde des Siegers.
Fünf Prozent der Sieger bleiben ungeeignet. Es gibt zwar keine Vorschrift, aber wie durch ein Wunder kommen die Geeignetsten unter den Besten immer aus den richtigen Ländern, so daß die 12 Mitgliedsstaaten auch bei den Angestellten in Brüssel stets ausgewogen vertreten sind. Das trifft vor allem die Italiener. Weil soviele Bewerber die Prüfungen schaffen, versauern auch viele auf der Warteliste. Natürlich wissen auch die EU-Arbeitgeber, daß eine zweite Fremdsprache als Voraussetzung die Bewerberzahl leicht halbieren würde, doch dann hätte Brüssel aus englischsprachigen Mitgliedsländern bald keine Angestellten mehr. Die dritte Fremdsprache würde auch die französischen Kandidaten dezimieren, und etwa ab dem fünften europäischen Dialekt müßten in Brüssel die Benelux-Beamten das Regiment übernehmen.
Die hohe Kunst des europäischen Ausgleichs fordert eben Opfer und führt dazu, daß wir in Brüssel von Leuten verwaltet werden, die manchmal Schwierigkeiten haben, sich ohne Dolmetscher mit den Kollegen zu unterhalten. Aber dafür wissen sie, warum Eiswürfel schwimmen. Alois Berger
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