: Die Entwicklung des Eipulvers
„Geständnisse eines ungeübten Sünders“: Charles Simmons’ Roman-Erstling aus dem Jahr 1964 in neuer Übersetzung
In einer Reihe von Briefen an einen College-Freund, die er später zurückverlangen wird, um sie zu diesem Band zu kompilieren, berichtet der Ich-Erzähler von seiner schwierigen Selbstfindung. Sein Vater stirbt, er will Schriftsteller werden, besser noch sein, und schmiert für eine Universalenzyklopädie aus anderen Lexika entnommene Einträge hin, bis man ihm draufkommt, dass er sich einfach ein paar „berühmte“ Persönlichkeiten ausgedacht hat, um sein Tagessoll zu erfüllen.
Er fühlt sich als Versager, weiß nicht, was werden soll aus ihm, sein Roman über Austin, der plötzlich unsichtbar wird, aus der Gesellschaft verschwindet und vereinsamt, ist eingestandenermaßen biografisch beziehungsweise psychoanalytisch, aber eben nicht literarisch relevant. Und er hält sich zwar schadlos an diversen Affären, erzählt auch gern und durchaus explizit davon, aber Seelenruhe oder gar ein Sinn stellt sich so auch nicht ein. Schließlich bleibt ihm das Herz stehen, jedenfalls glaubt er das, er reist nach Italien, um zu sich selbst zu finden, und hier ist er erstmals richtig glücklich, weil das einfache Leben und die geringen Ansprüche der Menschen im alten Europa angeblich so fein konvenieren. Aber dann ist er doch froh, die Qual der Wahl, die vielen Möglichkeiten eines gebildeten Amerikaners zu haben, das eigene Schicksal zu formen.
Und so feiert er am Ende seine Wiedergeburt als amerikanischer Patriot. Hurra! Auch diese Form der Sinnstiftung wird durchaus ironisch gebrochen, aber im Vergleich zu allen anderen Glaubensangeboten – der Wissenschaft, dem Kommunismus, dem Judentum, dem Katholizismus etc. – scheint die Konfession, ein Bürger der Vereinigten Staaten zu sein, immer noch die vielversprechendste: „Mir gefällt das Wetter dort nicht, auch nicht die Architektur oder die Gesichter, aber das Land hat mich zu dem gemacht, was ich bin, und dafür bin ich dankbar. Und aus Dankbarkeit werde ich mich beim Star-Spangled Banner erheben, wählen, Waffen tragen und Amerikas Schicksal mitbestimmen.“
„Geständnisse eines ungeübten Sünders“ ist Charles Simmons’ „Faulkner Award“-prämierter Erstling von 1964 in einer neuen, die Sixties-Libertinage schön einfangenden Übersetzung von Klaus Modick. Es ist nur nicht einzusehen, warum man den hübsch konzisen, die Generalthemen – nämlich die erotische und literarische Emanzipation des Erzählers – bereits metaphorisch antippenden Originaltitel „Powdered Eggs“ nicht einfach übersetzt hat.
Mittlerweile lässt sich dieses Buch auch als Zeitdokument lesen, vielleicht liest man es sogar vor allem so. Der Optimismus jener Jahre – und zwar trotz Kalten Kriegs!–, die noch von keiner Seuche verschüchterte sexuelle Freizügigkeit, die unzähligen Wahlmöglichkeiten der Jungen, ihr Leben zu gestalten, und schließlich auch das reichlich luxuriöse Leiden am eigenen Potenzial – all das wird hier denn auch ganz gut eingefangen. Aber wie dieser Schelm von Ich-Erzähler immer wieder die eigene Produktion ironisch reflektiert und damit die eigentlich anachronistische Gattung des Briefromans in ein Stück moderne Metapoesie überführt, das ist auch ziemlich artifiziell.
Und wie der Autor diese großmäulige, offenherzige Sprache eines 21-Jährigen, von metaphysischer Leere und seinen Testikeln gebeutelten Draufgängers mimetisch sicher nachbildet und dabei auch stilistisch brilliert, also dieses überschäumende emotionale Gebräu in ein flüssiges, allemal witziges Prosa-Parlando gießt, das geht über die Qualitäten eines bloßen Zeitromans schon weit hinaus. Überhaupt sind es die lebensgeschichtlichen Schwellensituationen, hier das verzögerte Ende der Adoleszenz, in der die Conditio humana sich immer noch am offensichtlichsten zeigt. Große Literatur! FRANK SCHÄFER
Charles Simmons: „Geständnisse eines ungeübten Sünders“. Aus dem Englischen von Klaus Modick. C. H. Beck, 2005, 255 S., 17,90 Euro