■ Die Enthüllung zur Einheitsfeier: Pollkläseners Hof-schranzen-Report
In einem intensiven Vorauswahlverfahren des Bremer Senators für Inneres wurden für die Dreistigkeiten aus Anlaß der vierten Wiederkehr der Befreiung der östlichen Hemisphäre zwei Zeremonienmeister zur Beaufsichtigung des Veranstaltungsprogramms bestimmt. Uns ist es gelungen, einen Blick in den internen Ablaufplan der vom 1. bis zum 3. Oktober stattfindenden kulturellen und gesellschaftlichen Tiefpunkte werfen zu können. Hier Auszüge:
Samstag, 1. Oktober 1994
5.15 Uhr: Sammeln. Mittels einer eigens von der örtlichen Bundespost installierten Rundum-Bremen-Schaltung werden unter Handy-Führung der Zeremonienmeister (ZMs) alle technischen und organisatorischen Kräfte durch dreimaliges Anklingeln zum Einsatz gerufen. Wer entgegen den akribisch festgelegten Anweisungen des Geheimdienstes handelt und den Telefonhörer abnimmt, wird umgehend dazu zwangsverpflichtet, sämtliche im Einsatz befindliche Dixi-Toiletten strohhalmtechnisch zu entleeren.
10.30 Uhr: Tiptop. Um einen reibungslosen Aufgang für die gegen Mittag zu erwartenden Honoratioren zu gewährleisten, wird in einem Einsatz des Technischen Hilfswerks Bremen die Portaltreppe des Rathauses mit schwarzer Schuhwixe und Wattebäuschen gewienert. Achtung: Es muß glänzen!
20.30 Uhr: Proteste im Keim ersticken. Im Rahmen der Abendveranstaltung „Klötern für alle“ ist aufgrund des zu erwartenden Lautstärkeaufkommens mit Anwohnerdemonstrationen zu rechnen. Erkundigungen im Vorfeld haben ergeben, daß eine Bürgerinitiative unter dem Motto „Macht euren Krach zuhause!“ eine Kundgebung plant. In diesem Falle werden die ZMs unverzügliche Lautsprecherdurchsagen veranlassen, die das Publikum auffordern, gemeinsam diesen Störern mit dem Ruf „Wir sind hier zuhause!“ entgegenzutreten.
Sonntag, 2. Oktober 1994
14.35 Uhr: Heimische Größen. Die allseits bekannte Kaffeetasse Egon Wellenbrink erklimmt die Marktplatzbühne Er wird ein Potpüree von neu einstudierten Songs aus seiner Wahlheimat Mallorca auf sonnengereiften, porentiefen Filtertüten blasen. Im Anschluß legt der singende Universitätsprofessor Dirk Busch ein musikalisches Bekenntnis ab. Wie aus sicheren Quellen zu erfahren war, kommt sein neues Werk „Ich bin gut drauf und nehm' dich hart von hinten“ zur Uraufführung. Achtung, Garderobe: Auf keinen Fall ein Oberhemd für Herrn Busch verwenden, mit dem er schon einmal im ZDF aufgetreten ist!
22.30 Uhr: Kalte Füße. Das abendliche Nacktkonzert im St. Petri Dom mit Werken von Wolfgang Amadeus Mozart macht Probleme. Entgegen den Ankündigungen soll kurzfristig über entsprechende Presseorgane angeregt werden, daß aufgrund der laut Wetterprognose vom Deutschen Wetteramt zu erwartenden niedrigen Temperaturen doch Socken mitgebracht werden sollen. Zusätzlich und für alle Fälle werden vor den Domtüren Mietstände zwecks Verteilung von Wollsocken aus den Beständen des Deutschen Roten Kreuzes bereitgestellt. Entsprechendes Personal ist einzuweisen.
Montag, 3. Oktober 1994
9 Uhr: Launig. Der stadtbekannte Zecher und selbsternannte Arkadenkönig „Don Promillo“ gibt sich die (Weizenkorn-)Ähre. Im Rahmen des Festaktes „Welt der Ergüsse“ huldigen ihm in der Güllekammer des Rathauses die Würdenträger der Stadt, allen voran Klaus „Teflon“ Wedemeier. In einer Ansprache gedenkt er, in Anlehnung an die zu diesem Zwecke erstellte Pressebroschüre, allen Demonstrationen, die jemals auf dem Marktplatz im Schatten des Roland geendet sind.
10 Uhr: Fromm. Die Bürgerschaftsfraktion „Bündnis 90/Die Grünen“ laden zu einem ökologischen Gottesdienst in die Ansgarii-Kirche. Die dekorative Gestaltung des Kirchenschiffes, „Sinnbild mittelalterlichen Geistes und Bürgerstolzes“ (Pressebroschüre), wird von Bananengrossist „Onkel Tuca“ gestellt. Es ist dafür Sorge zu tragen, daß der Beschluß der Fraktion „Bündnis 90/Die Grünen“ eingehalten wird und das Aufblasen der sechs Meter hohen Plastikbanane vom designierten Ortsamtsleiter Mitte/Östliche Vorstadt zu vollziehen ist. In der Krypta wird zu diesem Zwecke ein Sauerstoffzelt installiert.
11.30 Uhr: Festakt. Höhepunkt der Dreistigkeiten: Der offizielle Empfang im Congreß Centrum Bremen. Um den Unterhaltungswert dieser Veranstaltung zu erhöhen, wurde von der Deutschen Fernsehanstalt „1“ kurzfristig die Ziehung des Deutschen Lottoblocks auf diesen Termin verlegt. An diesem repräsentativen Ort, „in seinem postmodernen Gewand in (brech-)reizvollem Kontrast zur benachbarten Stadthalle“ (Presseinformation), wird es sich Glücksfee Roman Herzog nicht nehmen lassen, höchstselbst die Lottotrommel zu besteigen. In Begleitung von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und Bundeskanzler Helmut Kohl wird er versuchen, sich unter notarieller Aufsicht durch die rohrförmige Öffnung zu zwängen und so den Gewinner der Woche zu ermitteln.
13.30 Uhr: Ende. Nach Abschluß dieses Programmpunktes sorgen die ZMs dafür, daß das CCB aus sicherheitstechnischen Gründen unverzüglich geräumt wird. Unter Zuhilfenahme des beliebten Gesangsduos „Raus und Raus“ dürfte dieses Vorhaben keine größeren Probleme bereiten. Der angefallene Einheitsbrei ist nach der gültigen Bremer Abfallordnung zu entsorgen. Hierzu wird die erst jüngst 25 Jahre alt gewordene Müllverbrennungsanlage (MVA) eine Extraschicht einlegen. Nach gewissenhafter Durchführung dieser Beseitigung Ausklang im Focke-Museum zu „Gefüllten Vasen aus Bremer Sammlungen“.
Uli und Martin Pollkläsener (letzterer im Bild von C.H.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen