piwik no script img

■  Die EgyptAir-Maschine 990 stürzte fast mit Schallgeschwindigkeit ab. Ein Unfall war es nicht, scheint nun klar zu sein. Das FBI sollte den Fall übernehmen, doch die Ägypter haben nun durchgesetzt, die Daten erst einmal selbst auszuwerten. Was geschah vor dem Absturz?Die Sekunden vor dem Sturz ins Meer

Vieles ist unklar, aber eines scheint sicher: Weder das Wetter noch technische Fehler haben den Absturz verursacht

So viel scheint festzustehen: Der Absturz der ägyptischen Passagiermaschine am 31. Oktober wurde weder von technischen Defekten noch von schlechtem Wetter verursacht. Ein eindeutiger Fall für das Federal Bureau of Investigation (FBI). Eigentlich. Doch aus diplomatischer Rücksichtnahme auf Ägypten wurde die Übernahme des Falles durch das FBI vorerst verschoben.

Über vier Stunden wartete die internationale Journalistenschar, bis der Vorsitzende der amerikanischen Verkehrssicherheitsbehörde (NTSB), Jim Hall, endlich kam, um diese Entscheidung mitzuteilen. Dass die Untersuchung des Unglücks der EgyptAir-Maschine 990, die mit 217 Passagieren an Bord vor der Küste Nordamerikas ins Meer stürzte, vorerst doch nicht dem FBI übergeben wurde, ist mit allgemeinem Erstaunen aufgenommen worden. Die Auswertungen von Flugschreiber und dem Rekorder, der das Geschehen im Cockpit aufzeichnet, schlössen sowohl mechanische Fehler wie auch das Wettergeschehen als Ursache des Absturzes aus, bestätigte er noch einmal.

In den Stunden vor der Pressekonferenz hatte sich der Verdacht verdichtet, dass die Maschine absichtlich in ihren Sturzflug gesteuert worden sein könnte. Es wird unter anderem darüber gemutmaßt, dass einer der Kopiloten, Gamil al-Batouty, Selbstmord habe verüben wollen und 217 Menschen mit in den Tod riß.

Dass es sich nicht um einen Unfall handelt, darauf deutet darüber hinaus auch das Stoßgebet hin, das auf dem Voice Recorder vom Sitz des Kopiloten aus zu hören ist, bevor der Autopilot abgeschaltet wurde. Die ägyptische Regierung hatte die amerikanischen Behörden darum gebeten, erst einmal Fachleute aus Ägypten das Band abhören zu lassen, um die Bedeutung dessen auszuwerten, was genau gesagt und gesprochen wurde.

So soll verhindert werden, dass Sprachschwierigkeiten und kulturelle Missverständnisse zu vorschnellen Schlüssen führen. Sollte es tatsächlich kein Unfall gewesen sein, hätte das für die Linie EgyptAir und den ägyptischen Tourismus, einen der wichtigsten Devisenbringer des nordafrikanischen Landes, unabsehbare Folgen. „Sie wissen selbst, was alles bei Verkehrsunfällen gesagt wird“, sagte Jim Hall nun vorsorglich und beschwichtigend, „daraus auf die Unfallursachen zu schließen ist schwierig genug. Und hier handelt es sich außerdem auch noch um Arabisch.“

Auch das State Department hatte sich aus diplomatischen Rücksichten für eine Verschiebung der Einschaltung des FBI ausgesprochen. Was der Kopilot genau gesagt hat, war offiziell nicht zu erfahren. Es sei kein Allerweltsausspruch wie „Inschallah“ (so Gott will) gewesen, ließ sich ein Beamter aus dem Justizministerium vernehmen, der nicht genannt sein will. Die New York Times wusste zu berichten, dass der Kopilot „Tawakilt ala Allah“ gesagt haben soll, als er sich ans Steuer setzte, nachdem der Kapitän kurz das Cockpit verließ. Das heißt so viel wie „ich lege meine Geschicke in Gottes Hände“, ein Ausspruch, den viele Taxifahrer in Kario bei Fahrtantritt sprechen, der aber auch auf darauf hinweisen könnte, dass sich der Pilot plötzlich mit einem ernsten Problem konfrontiert sah.

In den nächsten Tagen werde die NTSB keine weiteren Pressekonferenzen anberaumen. Jetzt sollen, bevor die Winterstürme einsetzen, die Reste des Wracks geborgen werden.

Eine Chronologie der Ereignisse vor dem Absturz: Samstag, den 31. 10. 1999, 16.30 Uhr pazifische Ortszeit EgyptAir-Flug 990, eine Boing 767, verlässt Los Angeles, wo die Maschine, aus Kairo über Newark kommend, um 13.46 Uhrgelandet war. Flugplanmäßiger Abflug wäre eigentlich 12.30 Uhr gewesen, doch das Flugzeug war wegen schlechter Wetterverhältnisse in New York nach Newark umgeleitet worden und verspätet in Los Angeles eingetroffen. Die Maschine landet auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen in New York. Passagiere kommen an Bord. 1:19 Uhr Abflug Kairo. 1:47 Uhr Höhe von 33.000 Fuß (= 10.000 m), der Pilot meldet sich zum letzen Mal beim Tower. Der Pilot verlässt das Cockpit. Auf dem Voice Recorder ist das Klappen einer Türe zu hören. Vielleicht wollte der Pilot aufs Klo. 1:49 Uhr Die Stimme eines anderen Piloten – möglicherweise die von Gamil al-Batouty – ist zu hören, wie er „Tawakilt ala Allah“ sagt, was so viel heißt wie „ich lege meine Geschicke in Gottes Hände“. Der Autopilot wird ausgeschaltet, etwas, was ein Pilot normalerweise nur macht, wenn er landen will oder wenn das Flugzeug unkontrollierte Bewegungen macht. 1:50 Uhr Der Pilot steuert die Maschine in einem Winkel von 40 Grad nach unten in einen steilen Abwärtsflug. Der für eine Landung normale Winkel läge bei 9 Grad, für Notlandungen bei 20 Grad. In den nächsten 20 Sekunden erreicht das Flugzeug 86 Prozent der Schallgeschwindigkeit und verliert 15.000 Fuß (= 5.000 m) Höhe. 1:50:20 Uhr Der Pilot kommt zurück. Man hört wieder das Klappen einer Tür und die Stimme des Piloten, der fragt: „Was ist denn los?“

Es werden Versuche unternommen, das Flugzeug aus seinem Sturzflug heraus und wieder nach oben zu steuern. Dabei bewegen sich linkes und rechtes Höhenruder in unterschiedliche Richtung. Das kann das Ergebnis sich widersprechender Steueranweisungen sein, aber auch das Ergebnis gewaltsamer Betätigung des Steuerknüppels, was wiederum entweder auf einen Kampf im Cockpit hindeuten könnte oder auch auf den Versuch, ein blockiertes Höhenruder wieder frei zu bekommen. 1:50:30 Uhr Die Triebwerke werden abgeschaltet – etwas, was nur im äußersten Notfall gemacht wird, um sie erneut zu starten. In diesem Fall geschieht das aber nicht, und es scheint dafür auch keine Notwendigkeit zu geben. Das Flugzeug fängt sich gleichwohl und beginnt einen kurzen Steigflug. Bei abgeschalteten Triebwerken aber verliert es an Geschwindigkeit. 1:51:10 Uhr Das Flugzeug erreicht 25.000 Fuß (= 7.000 m). Wegen nachlassender Geschwindigkeit reißt der Luftstrom unter den Tragflächen ab. Die Maschine kippt zur Seite, reißt auseinander und stürzt wie ein Stein ins Meer. 1:51:20 Uhr EgyptAir 990 wird zum letzten Mal vom Radar erfasst.

Peter Tautfest. Washington

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen